Diese reichlich düstere Liste zeigt die Reihe von Möglichkeiten an, die den römischen Vätern nach offiziellem oder Gewohnheitsrecht zustanden, und sie ist deshalb nicht notwendigerweise auch eine Beschreibung der alltäglichen Wirklichkeit. Diese mag damit überzeichnet sein, und Knibiehler meint, sicher seien nicht alle Väter Despoten gewesen, etliche von ihnen hätten zwecks Besserstellung ihrer erwachsenen Söhne (aber es sind immer noch nur die Söhne!) auch Einschränkungen der eigenen Macht in Kauf
genommen.45Siehe Knibiehler 1996, 38.
Nach Borneman ist aber die ganze hinter dieser Liste stehende Ideologie ein Ausdruck dafür, dass die Römer in einem Zustand der permanenten Furcht vor einer Wiederkehr des Mutterrechts gelebt hätten, in dieser Hinsicht seien sie geradezu paranoid gewesen. Sicher finde man auch freundliche Aussagen von Männern über ihre Frauen, aber dabei handle es sich meistens um einen Lobgesang auf die “Tugend” ihres Gehorsams. Entsprechend werde z.B. auf Grabsteinen früh verstorbener Ehefrauen gepriesen, dass die Verstorbene keinen Wünsch geäussert habe, der nicht auch ein Wunsch ihres Mannes gewesen
sei.46Vgl. Borneman 1984, 385-386.
Im übrigen dient die patriarchale Familienstruktur auch als Modell für die politische Herrschaft, ja sogar für die religiöse Hierarchie. Dies äussert sich darin, dass die Senatoren
patres genannt werden, die Aristokraten
patricii, der Kaiser
pater patriae und der höchster Gott Jupiter, eine Name, der dieWortwurzel
pater enthält.47Nach Knibiehler 1996, 31.
Während der Zeit der Republik ging es den Frauen, wie gesagt, am schlechtesten. In der 27 v.u.Z. beginnenden Kaiserzeit aber begannen sich die Verhältnisse zu bessern, zunächst für die Frauen des gehobenen Standes, danach auch für diejenigen der mittleren und unteren Schichten. Dies war nicht direkt die Frucht einer öffentlich sanktionierten Frauenemanzipation. Aber zum einen verloren die Familienväter ihre mit persönlicher Gewalt verbundenen angestammten Rechte; diese gingen als öffentliche Gewalt an den Staat bzw. an vom Staat eingesetzte Gerichte
über.48Vgl. Borneman 1984, 362.
Eine Konsequenz war z.B., dass ein Vater nicht länger seine Tochter wider ihren Willen verheiraten
konnte.49Nach Borneman 1984, 399.
Und zum anderen griffen die Frauen zur Selbsthilfe, nachdem sie realisiert hatten, dass sie innere Widersprüche des patriarchalen Systems für sich ausnützen konnten:
Darüber hinaus aber führte sich dieses System selbst ad absurdum: “Da die Männer sich der vaterrechtlichsten aller vaterrechtlichen Aktivitäten widmeten, dem Krieg, fiel die Staatslast den Frauen zu.” Insbesondere auch entwickelte sich in Rom eine Kriegsindustrie, die Kapital erforderte und zu einer neuen auf der Bankwirtschaft aufgebauten Klasse führte, die der alten Aristokratie den Rang abzulaufen begann. An diesen Entwicklung nahmen auch Frauen teil, die damit Gelegenheit erhielten, Erfahrungen mit dem Rechtsverkehr, der Verwaltung und der Wirtschaft zu sammeln und sich ein neues Selbstvertrauen
anzueignen.51Borneman 1984, 486.
Sie konnten sich vom Einfluss ihrer Ehemänner befreien und beruflich tätig werden. Von da aus war es dann nur noch ein Schritt zum Eintritt der Frau auch in die letzte rein männliche Domäne, die der Politik (ohne gesetzliches weibliches Wahlrecht) und des Militärwesens - es ist bekannt, dass es Frauen bis zum Offiziersrang in der Armee
brachten.52Siehe Borneman 1984, 487-488.