Die !Kung sind in Gruppen organisiert, die je 10-30 Leute umfassen und während der Trockenzeit (Mai/Juni bis September/Oktober) in einem gemeinsamen Lager in der Nähe eines permanenten Wasserloches leben, wogegen sie während der Regenzeit in kleineren Einheiten der Reihe nach temporäre Wasserstellen als vorübergehende Basis benützen. Ein Kern von miteinander verwandten älteren Personen, gewöhnlich Geschwister oder Vettern und Basen, bildet das Zentrum einer solchen Gruppe und gilt als Eigentümer
(k"ausi)42Das Zeichen " in k"ausi steht für einen Knacklaut (vgl. Lee 1984, xvii).
des Wasserlochs; es handelt sich einfach um die Leute, die schon am längsten da sind. Um die Wasserstelle herum gibt es eine grössere Landfläche, die Nahrungsressourcen und noch andere Wasserlöcher enthält und so das grundlegende Selbstversorgungsgebiet der Gruppe darstellt. Die k"ausi üben dadurch, dass sie für einen genealogischen Fokus sorgen, eine integrative Funktion aus. Zunächst beginnt das Lager durch die Addition der von aussen kommenden Ehepartner bzw. Ehepartnerinnen der Kerngeschwister zu wachsen. Jene können dann ihrerseits ihre Geschwister und deren Gatten oder Gattinnen dazubringen usw. Das damit entstehende soziale System kann als eine Kette dargestellt werden; in Abb.16 ist das Prinzip idealtypisch dargestellt, während in Abb.17 als empirisches Beispiel die wirkliche Entwicklung des Lagers von
Dobe43Dobe ist der Name des Wasserlochs, dessen zugehöriges Lager Lee im Detail untersucht hat.
gezeigt ist. Die so entstehende Verwandtschaftsstruktur baut sich gleichermassen über männliche wie auch weibliche Personen auf; sie hat damit einen bilateralen Charakter. Wird sie in einem bestimmten Zeitpunkt inventarisiert, lässt sich feststellen, dass die Gruppe vorwiegend aus Individuen mit primären Bindungen besteht. Mit anderen Worten hat fast jedes Mitglied einen Elternteil, ein Kind, eine Schwester, einen Bruder, einen Ehepartner oder eine Ehepartnerin. Im Fall von Dobe gehören Geschwister beiderlei Geschlechts zum Kern, was der Normalfall ist. In Ausnahmefällen kann es auch vorkommen, dass nur Brüder oder nur Schwestern den Kern bilden. Jedenfalls zeigt sich, dass die Frage, ob bei den !Kung ein patrilokale oder eine matrilokale Residenzregel gelte, sinnlos ist. Vor allem widerspricht die Situation auch der These, wonach die Grundstruktur von allen archaischen Gesellschaften durch von Männern beherrschten Horden gebildet wird (vgl.
4.1).44Nach Lee 1984, 58-60.
Natürlich wächst nun eine solche Gruppe nicht ins Unendliche. Wird sie gegenüber der Ressourcenbasis zu gross oder entstehen interne Konflikte, wird sie sich aufteilen. Dabei können neue Lager entstehen oder aber die bisherigen Mitglieder verteilen sich auf andere schon bestehende Lager. Es kann auch sein, dass bezüglich der Gruppenzusammensetzung von Zeit zu Zeit Korrekturen vorgenommen bzw. ermuntert werden, z.B. wenn der Anteil der Abhängigen gegenüber den Produzierenden zu gross wird. Hat es etwa zu viele Kinder, wird jungen Familien angeraten, sich einem anderen Lager anzuschliessen, in dem die Relation günstiger
ist.45Nach Lee 1984, 60.