www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Kulturelle Evolution

4.1.1 Archaische Gesellschaften

Das Organisationsprinzip archaischer Gesellschaften beruht auf Blutsverwandtschaft und baut damit also unmittelbar auf dem auf, was biologisch gegeben ist. Eine beschränkte Anzahl von Personen lebt im sozialen Verband einer Horde. Sofern die Horde grösser wird, kann sie sich in verschiedene Sippen aufteilen. Damit kommen wir zu einer segmentären Stammesorganisation. Ein in einer solchen Gesellschaft lebendes Individuum erhält seine Identität durch die verwandtschaftliche Position, die es inne hat. Es ist z.B. der Sohn einer Mutter, die ihre Abstammung auf eine bestimmte Urahnin zurückführt. Durch bestimmte Heiratsregeln werden gewisse Beziehungen zwischen verschiedenen verwandtschaftlichen Gruppen etabliert. Die einzige Art und Weise, in der Menschen in solchen Gesellschaften miteinander kommunizieren können, ist (abgesehen von Rauchsignalen, Signaltrommeln und dgl.) durch physische Anwesenheit im Sinne einer Ko-Präsenz, d.h. der Zusammenhalt entsteht mittels sozialer Integration. Als vermittelndes Prinzip oder Medium bei dieser Integration wird von manchen Autoren Liebe, oder, da dies ein etwas hochgestochenes Wort ist, vielleicht besser Zuwendung, betrachtet.
In unserer heutigen Gesellschaft ist das archaische Organisationsprinzip ebenfalls noch in Form verwandtschaftlicher Strukturen vorhanden, wobei es aber schon längst seinen dominanten Status verloren hat. Die dazu gehörende Kerninstitution ist heute die Kernfamilie, d.h. eine Familie, die aus Mutter, Vater und Kindern besteht, und ein Schrumpfungsprodukt des früher üblichen Grosshaushaltes sein dürfte (vgl. Abbildung 8). In Form des privaten Bereichs spielt der gewissermassen archaische Teil unseres Lebens aber natürlich immer noch eine wichtige Rolle. Dieser Bereich macht sich auch im räumlichen Sinne bemerkbar, indem man dort, wo sich die sozialen Praktiken des privaten Bereichs abspielen, vom privaten Territorium reden kann. Das ist natürlich die Wohnung oder das Haus, in dem man lebt, plus vielleicht ein angrenzender Garten (vgl. dazu Abbildung 8).
Abbildung 8: Gesellschaftliche Subsysteme und Beispiele von Institutionen (links) und Beispiele von Territorien (rechts), die archaische, politische und ökonomische Aspekte der heutigen Zeit repräsentieren (nach Dürrenberger 1989: 110-111)
Abbildung 8: Gesellschaftliche Subsysteme und Beispiele von Institutionen (links) und Beispiele von Territorien (rechts), die archaische, politische und ökonomische Aspekte der heutigen Zeit repräsentieren (nach Dürrenberger 1989: 110-111)