www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Kulturelle Evolution

1.2.3 Superstruktur

Mit diesem Begriff wird, wie in 1.1 schon bei der Besprechung der Bedeutung von Kulture angemerkt, die Geistesverfassung oder ideelle Fundierung der fraglichen Gesellschaftw beschrieben, die sich in einem mit Wertvorstellungen verknüpften Weltbild äussert (bzw. in mehreren Weltbildern mit verschiedenen Werthaltungen, wie dies heute auf unsere als pluralistisch bezeichnete Kulture zuzutreffen scheint). In früheren, religiös geprägten Zeiten hatten Weltbilder wohl eine viel ausgeprägtere kollektiv gültige Reichweite. Allerdings enthält sicher auch die heutige pluralistische Kulture noch Komponenten mit einem derartigen Charakter. Denken wir etwa daran, wie sich unser Verständnis der Welt in den neuzeitlichen Entwicklung allgemein verwissenschaftlicht hat. Jedenfalls: Bei den Gesellschaftswmitgliedern drückt sich das Kulturelle in Form von bestimmten Bewusstseinszuständen aus.
Das Wirken von kulturellen Strukturen im Bewusstsein können wir uns so vorstellen, dass diese in einem schwächeren Sinne die Qualität des Handelns (z.B. im Hinblick auf die Geschlechterbeziehung), Arbeitens und Herstellens steuern, in einem stärkeren Sinne aber darüber entscheiden, welche Strukturen überhaupt als zulässig gelten sollen. Ein Beispiel: Die Institution der Sklaverei wird in älteren Gesellschaftswtypen als "normal" betrachtet, während sie in unserer modernen Gesellschaftw undenkbar ist. In der heutigen Situation scheint das Problem allerdings gerade dies zu sein, dass in vielerlei Hinsicht ein kultureller Hintergrund - jedenfalls ein einigermassen allgemeinverbindlicher -, der das gesellschaftliche Geschehen steuern könnte, fehlt, ja dass, aus evolutionärem Blickwinkel gesehen, geradezu eine Inversion vorhanden ist: Unser Denken wird von der ökonomischen Logik beherrscht.14 Roy A. Rappaport bezeichnet diesen Zustand als "Usurpation": Das ökonomische System nimmt eine Position ein, die eigentlich der Kulture zukäme.15

Anmerkungen

14
Wieso dieser Zustand einer "evolutionären Inversion" entspricht, wird später noch klar werden.
15
Vgl. Roy A. Rappaport 1979.