Archaische Weltbilder sind solche, bei der sich der Mensch als Bestandteil der Natur erfährt, bzw. diese Natur in Analogie zu sich selbst betrachtet. Es lassen sich animatistische von animistischen und mythologischen (polytheistischen) Vorstellungen unterscheiden, wobei die Übergänge gleitend sind. Im ersten Fall erscheint die Natur als von diffusen Kräften durchdrungen, im zweiten Fall als von mehr oder weniger individualisierten Seelen und Geistern belebt, und im dritten als von agierenden göttlichen Figuren kontrolliert. In jedem Fall müssen die Erscheinungen des Heiligen oder Göttlichen günstig gestimmt werden. Die Religion durchdringt alle Aspekte des Lebens völlig, ja ist eigentlich das Leben selbst. Die kulturellen Strukturen werden sehr direkt in Form von Ritualen gelebt. Aus einer derartigen kulturellen Orientierung ergeben sich sehr direkt Handlungsanweisungen, und zwar nicht nur bezüglich des sozialen Umgangs mit den Mitmenschen, sondern vor allem auch hinsichtlich des Umgangs mit der Natur, der hier umfassend und meist auch in ökologisch sinnvoller Weise geregelt ist.
Mit der Entstehung der politischen Gesellschaften ändert sich auch das Weltbild, bzw. eine Änderung des Weltbildes ist nach Eder Voraussetzung dafür, dass politische Strukturen entstehen
können.69Eder 1980.
Über die höchsten Prinzipien wird jetzt in spekulativer Weise nachgedacht. Es entsteht somit eine Philosophie, die sich, wie wir von den alten Griechen wissen, explizit von der Religion abzusetzen versucht. Aus den höchsten Prinzipien wird abgeleitet, was das "rechte Tun" ist. Dieses bezieht sich aber in erster Linie auf das menschliche Zusammenleben in einem staatlichen Verband und damit auf die politische Praxis. Über das Verhältnis zur Natur wird weniger gesagt. Insofern wir es mit der Dominanz holistischer Weltbilder zu tun haben, ist es zwar klar, dass dem Menschen ein vorbestimmter Platz in der Welt der Erscheinungen zukommt, aber aus der Tatsache, dass er das höchstentwickelte Lebewesen ist, entsteht auch die Vorstellung, dass er den übrigen überlegen ist. Wissenschaft in unserm Sinne existiert noch nicht, und soweit sie betrieben wird, ist sie noch Teil der Philosophie, aber sicher liegt bereits hier eine Wurzel des rational-distanzierten Umgangs mit der Umwelt. Die Religion wird auf die Seite geschoben, bzw. steht in Konkurrenz mit der Philosophie. Im Mittelalter gibt es in Form der Scholastik einen Versuch, die beiden zu integrieren. Danach geschieht aber die völlige Trennung. Während früher ein Herrscher als von Gott eingesetzt auch sakrale Funktionen innehaben mochte, gibt es nun eine Ausdifferenzierung zwischen politischen und religiösen Funktionen. Diese können im Streit miteinander liegen, wie die lange Geschichte von Zwisten zwischen Papst und Kaiser zeigt. Bei dieser Entwicklung, die mit einem ersten rationalen Aufbruch verbunden ist, ist es im übrigen bemerkenswert, dass sich in ländlichen Regionen Europas bis in die Neuzeit, solange die dortige Bevölkerung einer traditionellen Lebensweise anhing, animistische Vorstellungen über die Natur halten
konnten.70Siehe dazu z.B. Theodor Abt 1984.
Am Ende des Spätmittelalters entsteht parallel zur Entstehung der ökonomischen Gesellschaft die moderne Wissenschaft. Dabei tritt an die Stelle eines spekulativ-rationalen ein empirisch-rationales Denken. Es wird nicht mehr angenommen, dass es um das Erkennen höchster Prinzipien geht, aus denen die Erscheinungen der Welt (Sein) verstanden und ethische Forderungen (Sollen) abgeleitet werden können. Stattdessen wird versucht, die Welt von "unten" her zu verstehen, von einer Analyse ihrer Teile, zu der man über das Sinnlich-Erfahrbare vorstossen kann. Durch die Anwendung technischer Hilfsmittel und durch die Einrichtung des kontrollierten Experimentes erfährt aber dieses Erfahrbare gegenüber dem in der Lebenswelt üblichen eine ungeheure Ausweitung. Wissenschaft ist also auf Technik angewiesen, wie umgekehrt die Entwicklung der modernen Technik natürlich nicht ohne die Wissenschaft denkbar wäre. Es entsteht das uns ebenfalls bereits bekannte atomistisch-mechanistische Weltbild. Es ist nun die Wissenschaft, die ihrerseits die Philosophie auf die Seite schiebt und glaubt, auf sie verzichten zu können. Gleichzeitig gibt es im politischen Bereich eine Wandlung von den Klassen und der daraus resultierenden Herrschaftsverhältnisse zu Strukturen, die auf der Idee der französischen Revolution von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit (die Frauen bleiben weiterhin ausgeschlossen!) beruhen. Die Rechtsprechung, vorher an die Person von Herrscherfiguren gebunden, entwickelt sich nun zu einer eigenständigen öffentlichen Institution, wobei die Rechtsnormen durch Konvention, also durch Aushandeln unter freien Bürgern entstehen. Im ähnlichen Sinne entwickelt sich die Ökonomie als ein unreguliertes wirtschaftliches Gebaren an einem Markt, bei dem Angebot und Nachfrage zusammentreffen. Indem jeder nach seinem eigenen Nutzen handelt, ergibt sich in der Aggregation etwas, das auch für die Gesellschaftw als Ganzes gut ist, das ist zumindest die Vorstellung.
Eine Gesellschaft
w, bei der bezüglich der kulturellen Orientierung an der Stelle der höchsten Prinzipien ein Vakuum herrscht, ist in einem gewissen Sinne eine kulturlose Gesellschaft
w. Nach Rappaport schwingt sich, wie schon in 1.2.3 vermerkt, in dieser Situation in der modernen Gesellschaft
w das ökonomische Subsystem zu einer "sakralen" Stellung
auf.71Rappaport 1979, zitiert nach Thomas Bargatzki 1986.
Er bezeichnet diesen Vorgang als "Usurpation", da sich ein Teil, der in untergeordneter Stellung bleiben sollte, übergeordnete Steuerfunktionen anmasst. Tatsächlich erleben wir heute eine Tendenz, die Lösung der Umweltprobleme in umweltökonomischen Massnahmen als der Weisheit letzter Schluss zu sehen. Aber eine einseitige Schuldzuweisung an die Adresse der Ökonomie hilft auch nicht weiter. Da die Wirtschaft in der heutigen Form ohne den Hintergrund von Wissenschaft und Technik gar nicht möglich wäre, ist das Dreigestirn von Überheblichkeit in der Wissenschaft, Machbarkeitswahn in der Technik und Profitstreben in der Wirtschaft im gleichen Atemzug zu nennen. Insofern dabei die Wissenschaft gewissermassen die erste Ursache darstellt, kann man auch sie in ungerechtfertigter "sakraler" Position sehen. Zweifellos ist diese Stellung heute in Frage gestellt und auch schon im Abbröckeln begriffen. Insofern auch mit der wissenschaftlichen Einstellung nur die verstandesmässige Seite des Weltbezuges abgedeckt ist und Religion die gefühlsmässige Komponente vermittelt, stellt sich die Frage, wie wir unserer Lebensführung eine religiöse Qualität verleihen können. Mitgliedschaft bei einer institutionalisierten Religionsgemeinschaft ist dabei aber nicht das Entscheidende, sondern eher eine individuell getönte Form von Religiosität nicht-dogmatischer Natur.