www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Kulturelle Evolution

4.2 Zur Entwicklung des Geschlechterverhältnisses

Es ist sehr wohl möglich, dass Herrschaftsverhältnisse, die innerhalb einer Gesellschaftw eine Spaltung von Individuen in Unterdrücker und Unterdrückte bewirken, ein inneres Spiegelbild dafür sind, wie eine solche Gesellschaftw gegen aussen mit der Natur umgeht. Das Verhältnis von Frauen und Männern in der skizzierten gesellschaftlichen Entwicklung könnte dabei eine Schlüsselrolle spielen. Deshalb hier ein kurzes Wort dazu. In den archaischen Gesellschaften gibt es zwar eine Arbeitsteilung zwischen Frauen (Sammeln) und Männern (Jagd), aber sonst liegen egalitäre Verhältnisse vor, d.h. es gibt keine Herrschaftsverhältnisse. In Tat und Wahrheit dürfte den Frauen in diesen Gesellschaftenw die wichtigere Rolle für deren Zusammenhalt zugekommen sein, indem der verwandtschafltiche Zusammenhang über sie definiert wurde. Schon der Basler Rechts- und Kulturhistoriker Johann Jakob Bachofen (1815-1887) hatte eine mutterrechtliche Vergangenheit der Menschheit postuliert, was viele seiner Kollegen für lächerlich hielten.66 Heute sind feministische Wissenschaftlerinnen wie z.B. Heide Göttner-Abendroth und Carola Meier-Seethaler daran,67 Belege zu sammeln, dass möglicherweise schon die archaischen Gesellschaften, sicher aber neolithische Übergangsgesellschaften, die schon in Dörfern lebten und Gartenbau betrieben,68 wirklich matriarchalisch oder, vielleicht besser ausgedrückt, matrizentrisch organisiert war. Mit der letzteren Wortwahl soll klar gemacht werden, dass dabei nicht die Frauen über die Männer herrschten, wohl aber zentrale Positionen und Funktionen inne hatten. Das Patriarchat, das irgendwie im Zusammenhang mit der Entstehung der politischen Gesellschaften entsteht, bedeutet umgekehrt aber, dass wir es hier tatsächlich mit einer Herrschaft der Männer über die Frauen zu tun haben. Wenn wir die gesellschaftliche Entwicklung hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses verfolgen, stellen wir fest, dass es, von wenigen Ausnahmen abgesehen, immer Männer sind, die politische Positionen einnehmen und später beruflich am ökonomischen System teilnehmen. Die Frauen werden auf den archaischen Bereich, also den privaten Bereich der Familie, zurückgedrängt. Sie haben sich aber auch hier dem Manne unterzuordnen, indem es dieser ist, der über die Familie bestimmt und sie nach aussen vertritt.
Es ist wichtig zu sehen, dass die Entstehung der Männerherrschaft ein historisch-kontingentes Ereignis ist. Das bedeutet, dass sie nicht ein irreversibles emergentes Phänomen ist, und dass damit die Entstehung politischer und dann ökonomischer Strukturen nicht notgedrungen an die Existenz einer patriarchalen Gesellschaftw gebunden ist. Es ist aber zu vermuten, dass die politischen und ökonomischen Strukturen anders aussehen würden, hätten die Frauen von Anfang an darauf einen prägenden Einfluss gehabt. Heute erleben wir einen Wandel, was das jahrhundertealte Geschlechterverhältnis betrifft, der zur Rückgängigmachung des Patriarchates führen kann. An seine Stelle sollte nun aber nicht einfach ein gemischtes Unterdrückungsverhältnis treten, sondern ein solches muss ganz verschwinden. Es ist zu hoffen, dass mit der Abschaffung von Unterdrückung von Menschen durch Menschen auch die extrem ausbeuterische Haltung der Menschen der Natur gegenüber verschwinden wird.

Anmerkungen

66
Johann Jakob Bachofen 1975.
67
Heide Göttner-Abendroth 1988, Carola Meier-Seethaler 1988.
68
Zu diesen hat Marija Gimbutas 1982 und 1991 eindrückliches Material gesammelt.