Natürlich hat es im Laufe der Zeit die verschiedensten gesellschaftstheoretischen Ansätze gegeben. Insbesondere hat immer wieder die Frage Anlass zu Diskussionen gegeben, wie die kausalen Verhältnisse zwischen Individuen und Gesellschaft
w zu beurteilen sind. Entsteht die Gesellschaft
w als Ganzes durch die Akkumulation des Handelns der einzelnen Mitglieder oder sind umgekehrt gesellschaftliche Strukturen vorgegeben, die dann die möglichen Handlungen der Individuen bestimmen? Die verschiedenen Ansichten passen perfekt in unser Weltbild-Klassifikationsschema (vgl. 4.4 in "Einführung in die Humanökologie"): Wird die Frage im ersteren Sinne beantwortet, haben wir es mit einer atomistischen Sichtweise zu tun, wird dagegen die zweite Möglichkeit bejaht, wird eine holistische Perspektive favorisiert. In Abbildung 2 sind diese beiden Auffassungen als "Modell 1" und "Modell 2" aufgeführt. Nach einer Arbeit des englischen Wissenschaftsphilosophen Roy
Bhaskar,18Siehe Roy Bhaskar 1978.
der dieses Thema diskutiert, können die Ansätze des Soziologen Max Weber (1864-1920) und des Philosophen Karl R. Popper (1902-1994) dem Modell 1 zugerechnet
werden.19Zu Max Weber siehe z.B. Gerhard Hauck 1988: 71 ff., Gabor Kiss 1977, Bd.2: 122 ff. und Raymond Aron 1970, Bd.2: 219 ff. Karl R. Poppers gesellschaftstheoretisches Hauptwerk ist "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" (Popper 1992).
Weitere zu ihrer Charakterisierung verwendeten Adjektive sind, neben "atomistisch", "individualistisch" und "voluntaristisch". Die letztere Bezeichnung weist darauf hin, dass der Aspekt des freien Willens in den Vordergrund gestellt wird. Als klassisches Beispiel für das Modell 2 nennt Bhaskar das Beispiel von Emile
Durkheim.20Zu Emile Durkheim siehe z.B. Hauck 1988: 92 ff., Kiss 1977: Bd.2, 27 ff. und Aron 1970, Bd.2: 11 ff.
Seinen Ansatz und andere verwandte Theorien werden auch als "strukturalistisch" oder "kollektivistisch" bezeichnet.