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Menschwerdung

Menschwerdung

1. Menschwerdung
1.1 Der Mensch: Krone der Schöpfung oder Laune des Zufalls?
1.2 Der Mensch als emergentes Phänomen
1.3 Wie unterscheidet sich der Mensch vom Tier
1.4 Entlässt die Natur den Menschen?
1.4.1 Philosophische Anthropologie
1.4.2 Soziobiologie
2. Zur Stammesgeschichte des Menschen
2.1 Zur Entwicklung der Ideen über die Abstammung des Menschen
2.2 Zum Stammbaum des Menschen43
Den Textteil, der mit den in der menschlichen Stammesgeschichte unterschiedenen Arten zu tun hat, habe ich vor bald 10 Jahren geschrieben. Inzwischen sind weitere Knochenfunde gemacht worden und das Bild hat sich wieder verändert, nicht grundsätzlich, aber jedenfalls verfeinert, indem weitere Arten unterschieden werden. Für den neusten Stand der Dinge siehe z.B. Friedemann Schrenk 1997 und Ian Tattersall 1997.
2.3 Zur Herkunft des Homo sapiens
3. Der Prozess der Menschwerdung
3.1 Aufrechter Gang und Leben in der Savanne
Der aufrechte Gang (Bipedie oder Bipedalismus) ist der früheste und vielleicht der wichtigste Schritt in der Evolution zum Menschen. Er liegt etwa 4 Mio. Jahre zurück. Jedenfalls zeigen schon die älteren Australopithecinen sehr menschenähnlich gebildete Extremitäten und einen Bau des Beckens, aus dem sich ein aufrechter Gang ableiten lässt, und zwar als Dauerzustand. Allerdings sind die Arme noch relativ lang, die Beine kurz und die Füsse sind noch als Greiforgane gewölbt, so dass neben dem aufrechten Gehen auf dem Boden immer auch noch ein Leben in den Bäumen möglich war (vgl. Abbildung 10).61
Siehe Leakey 1994: 34.
Einen endgültigen Beweis für die Existenz der Bipedie zu jener Zeit brachte Mary Leakey 1978 bei: Sie fand bei Laetoli in Tansania in einer Schicht von vulkanischem Tuff neben Spuren von vielen verschiedenen Tieren auch fossile Fussabdrücke von Hominiden, deren Alter auf 3,6-3,8 Mio. Jahre geschätzt wird.62
Siehe Mary Leakey 1984: 173 ff.
Es handelt sich um die Spuren eines grösseren und eines kleineren Individuums, die nebeneinander her gingen und dazu scheinen von einem nachfolgenden Individuum nochmals kleinere Fussabdrücke immer genau in die grösseren Spuren hineingesetzt worden sein (siehe Abbildung 9). Dies hat die Phantasie von Horst M. Müller angeregt, der schreibt:
Geht man davon aus, dass es sich bei den Verursachern dieser Spuren um Hominiden gehandelt hat, dann erscheint es als sicher, dass es sich um ein männliches und ein etwas kleineres weibliches Wesen gehandelt hat, die Arm-in-Arm gingen und denen ein Kind folgte.63
Müller 1987: 59.
Abbildung 9: Die bei Laetoli in Tansania freigelegten, 3,6 bis 3,8 Mio. Jahre alten Fussspuren von drei hominiden Individuen und einigen Tieren (nach Mary D. Leakey 1981, aus Müller 1987: 61)
Abbildung 9: Die bei Laetoli in Tansania freigelegten, 3,6 bis 3,8 Mio. Jahre alten Fussspuren von drei hominiden Individuen und einigen Tieren (nach Mary D. Leakey 1981, aus Müller 1987: 61)
Mit der Aufrichtung des Körpers werden die Hände frei, sie können zum Gebrauch von Werkzeugen und zum Tragen von Nahrungsmitteln eingesetzt werden; der Mensch wird buchstäblich "handlungsfähig". Allerdings entsteht der verfeinte Gebrauch der Hände erst viel später - die ersten Artefakte tauchen erst vor etwa 2 Mio. Jahren auf. Dieser kann also nicht, wie man früher glaubte, zur Auslese des aufrechten Ganges mitverantwortlich gewesen sein. Heute herrscht aufgrund der Untersuchung von fossilen Gebissen die Auffassung vor, dass die Art der Nahrungssuche und -verwertung ein wichtiger Faktor in der Trennung der Menschen von den Menschenaffen gewesen sei.64
Siehe z.B. Pilbeam 1972: 49 ff.
Es ist anzunehmen, dass schon die noch gänzlich im Walde lebenden Primaten nicht nur in den Bäumen, sondern zu einem guten Teil auch auf dem Boden lebten, wo sie einen Teil ihrer Nahrung suchten. Dabei ist sicherlich die Möglichkeit, sich zeitweise aufrecht oder mindestens halbaufrecht fortbewegen zu können, ein Vorteil, etwa bei der Beobachtung der Umgebung und beim Sammeln von Früchten und Nüssen von Büschen. Während vor 15 Mio. Jahren Afrika ein Kontinent war, der von West nach Ost von Wald bedeckt war, kam es vor ca. 12 Mio. Jahren im Gefolge der tektonischen Bildung der Hochländer und des Grabensystems in Ostafrika zur Ausbildung eines klimatisch bedingen Mosaiks von verschiedenen Habitats: Auf der Westseite war es feuchter und blieb der Wald bestehen, auf der Ostseite dagegen herrschten trockenere Bedingungen mit einer offenen Vegetationsbedeckung. Hier setzte die Entwicklung ein, die zum Menschen führen sollte, während diejenige zu den Menschenaffen im Westen weiter ging.65
Vgl. Leakey 1994: 15 ff.
In der Savanne, in der die Nahrungsquellen zerstreuter und die Gefahren (Raubtiere) grösser waren, wurden der nun ständig aufrechte Gang und die damit verknüpfte Möglichkeit des Gebrauchs der Hände offenbar zu wichtigen Faktoren, die zum Überleben beitrugen. Es scheint, dass dieser Übergang der grundlegende Anstoss zur Hominisation war, und dass sich danach die Entwicklung zum Menschen in dieser Umwelt über einige Millionen Jahre hinweg konsolidiert hat. Es ist möglich, dass sich daraus eine genetisch verankerte Vorliebe des Menschen für abwechslungsreiche Landschaften ergeben hat, die heute noch wirksam ist.66
Äusserung von Hans Kummer, Zoologisches Institut der Universität Zürich, Abteilung Ethologie und Wildforschung, anlässlich des Seminars "Ist Naturschutz ökologisch oder ethisch zu begründen?" im WS 1986/87.
Die Aufrichtung hat eine Reihe von mehr oder weniger direkt resultierenden anatomischen Veränderungen im Skelett zur Folge (vgl. Abbildung 10).67
Siehe Pilbeam 1972: 62 ff.
Die Vorderextremitäten, die nun nicht mehr als Lokomotionsorgan benötigt werden, werden relativ kürzer. Die Hände entwickeln sich durch eine Verlängerung des Daumens und durch seine Opponierbarkeit gegenüber den übrigen Fingern, die kürzer werden, zu einem Greiforgan, das relativ komplizierte Manipulationen ausführen kann. Parallel dazu vergrössern sich die Teile des Gehirns, die die Handbewegungen kontrollieren. Umgekehrt hat der aufrechte Gang des Menschen zur Folge, dass die Beine relativ länger werden und die Zehen an Flexibilität verlieren. Damit sind die Füsse nicht mehr auf Greifen, sondern auf Gehen spezialisiert. Dies zeigt sich darin, dass sie zusätzlich zum longitudinalen Bogen (den die Menschenaffen auch haben) auch einen transversalen Bogen aufweisen. Damit übernimmt der Fuss die Funktion einer Feder. Die Wirbelsäule entwickelt als Folge der Aufrichtung eine Reihe von Krümmungen, von denen die in der Lende am auffallendsten ist. Sie ermöglicht eine völlige Streckung der Beine bei aufrechtem Oberkörper. Gleichzeitig nimmt die Körpergrösse im gesamten von vielleicht etwa 100 cm bei den ersten Hominiden auf durchschnittlich etwa 175 cm beim modernen Menschen zu.
Abbildung 10: Drei verschiedene Skelettformen, die an die vorherrschende Art der Fortbewegung beim Schimpansen, bei Australopithecus afarensis und beim Menschen angepasst sind (aus Leakey 1994: 14)
Abbildung 10: Drei verschiedene Skelettformen, die an die vorherrschende Art der Fortbewegung beim Schimpansen, bei Australopithecus afarensis und beim Menschen angepasst sind (aus Leakey 1994: 14)
Der Wechsel vom Wald zur Savanne war mit einer Veränderung der Diät verknüpft, und man glaubt, dass dies eine Verkleinerung des menschlichen Gebisses ermöglichte.68
Vgl. Pilbeam 1972: 49 ff.
Ebenso gab es einen Wandel in den Zahnformen: Während die Menschenaffen zugespitzte Backenzähne haben, was auf einen Verzehr von relativ weicher Nahrung, von Früchten und Grünzeug, schliessen lässt, waren die Backenzähne der Australopithecinen gross und flach, geeignet zum ausführlichen Mahlen von harter Nahrung wie Nüssen und hartschaligen Früchten; dies deutet auch darauf, dass nun ein trockeneres Klima vorherrschte.69
Vgl. Leakey 1994: 24.
Die späteren Savannenbewohner der Gattung Homo hingegen gingen offenbar zu einer teilweisen Fleischdiät über. Es wird vermutet, dass sie zuerst Aas nutzten und dann aber ihre eigenen Jagdmethoden entwickelten, bei denen die nun freien Hände eine nützlich Rolle spielen konnten. Dazu passt auch das mit Homo habilis festgestellte erstmalige Vorkommen von einfachen Steinwerkzeugen: Bei der Absenz von Zähnen, die eine Beute noch direkt zerteilen können, ist eine Werkzeugbearbeitung geradezu eine Voraussetzung. Erst zu einem späteren Zeitpunkt wurde die Nahrung dann auch gekocht, womit sich die Anforderungen an die Kauleistung der Backenzähne verringerte - in der Folge wurden sie kleiner.70
Nach Leakey 1994: 41.
Heute ist es übrigens möglich, mittels der elektronenmikroskopischen Untersuchung von Zähnen anhand der winzigen Kratzer, die auf dem Zahnschmelz auftreten, genauere Angaben über die Ernährungsgewohnheiten des fraglichen Individuums zu machen.71
Siehe Leakey 1981: 74-75.
Es gibt unterschiedliche Muster für Herbivoren, Früchteesser, knochenbrechende und nicht-knochenbrechende Karnivoren sowie auf dem Boden lebende Omnivoren. Es ist denkbar, dass damit die bisherigen Auffassungen über die Entwicklung der menschlichen Diät revidiert werden müssen.
Auch die früher als Werkzeuge verwendeten Eck- und Schneidezähne wurden im Laufe der Entwicklung kleiner, da nun die Fähigkeiten der Hände zum manipulativen Werkzeuggebrauch diese Funktionen viel effizienter ausüben konnten. Mit dem Kleinerwerden des gesamten Kauapparates zog sich die Schnauze zurück und es bildete sich ein Kinn, während das gleichzeitige Grösserwerden des Gehirnschädels (vgl. 4) zur Ausbildung einer Stirn führte. Damit wurde das Gesicht im gesamten nun flach und in die Vertikale verkürzt. Eine andere Erscheinung, die als Anpassung an das Savannenleben erklärt wird, ist die Nacktheit, d.h. die relative Behaarungsarmut des Menschen. Stattdessen verfügt die Haut, im Gegensatz zu den übrigen Primaten, über viele Schweissdrüsen. Es macht den Anschein, dass damit das im offenen Gelände grösser werdende Problem der Temperaturregelung eine effiziente Lösung erfahren hat.72
Vgl. Pilbeam 1972: 82 ff.
3.2 Der Mensch als "sekundärer Nesthocker"
3.3 Vom Werkzeuggebrauch zur Werkzeugherstellung
4. Das menschliche Gehirn
4.1 Das Dreifachhirn
4.2 Die hemisphärische Spezialisierung
4.3 Bedeutung der menschlichen Gehirnorganisation
4.4 Hypothesen zur Gehirnentwicklung
5. Die menschliche Sprache
5.1 Organische Voraussetzungen
5.2 Die Form der menschlichen Sprache
5.3 Basiert die Sprache auf genetischen oder sozialen Strukturen?
5.4 Wie ist die Sprache entstanden?
Zitierte Literatur