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Menschwerdung

Menschwerdung

1. Menschwerdung
1.1 Der Mensch: Krone der Schöpfung oder Laune des Zufalls?
1.2 Der Mensch als emergentes Phänomen
1.3 Wie unterscheidet sich der Mensch vom Tier
1.4 Entlässt die Natur den Menschen?
1.4.1 Philosophische Anthropologie
1.4.2 Soziobiologie
2. Zur Stammesgeschichte des Menschen
2.1 Zur Entwicklung der Ideen über die Abstammung des Menschen
2.2 Zum Stammbaum des Menschen43
Den Textteil, der mit den in der menschlichen Stammesgeschichte unterschiedenen Arten zu tun hat, habe ich vor bald 10 Jahren geschrieben. Inzwischen sind weitere Knochenfunde gemacht worden und das Bild hat sich wieder verändert, nicht grundsätzlich, aber jedenfalls verfeinert, indem weitere Arten unterschieden werden. Für den neusten Stand der Dinge siehe z.B. Friedemann Schrenk 1997 und Ian Tattersall 1997.
2.3 Zur Herkunft des Homo sapiens
Hinsichtlich der Entstehung des modernen Menschen (Homo sapiens) gibt es zwei gegensätzliche Hypothesen (vgl. Abbildung 6):51
Vgl. Leakey und Lewin 1993: 213 ff.
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Multiregionale oder "Kandelaber"-Hypothese: Es fand an verschiedenen Orten parallel zueinander ein mehrfacher Übergang von Homo erectus zu Homo sapiens statt. Da dies vermutlich nicht unabhängig voneinander hätte passieren können, muss ein Genaustausch vorausgesetzt werden. Nach diesem Modell müssten die Neandertaler (als Subspezies Homo sapiens neanderthalensis) zu unseren Vorfahren gehört haben. Auch würde es bedeuten, dass die verschiedenen Menschenrassen sich schon seit ca. 2 Mio. Jahren zum grösseren Teil separat entwickelt, also eine weit zurückreichende genetische Wurzel hätten. Insgesamt hat diese Hypothese heute aber an Glaubwürdigkeit verloren, da es Fakten gibt, die dagegen sprechen.
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"Out of Africa"- oder "Arche Noah"-Hypothese: Afrika wird als Ort der Entstehung von Homo sapiens angesehen, der sich von dort nach Europa und Asien ausbreitete und die Nachkommen von Homo erectus verdrängte, ob durch gewaltsame Verdrängung, friedliche Konkurrenz oder Vermischung bleibe dahingestellt. Dieses Modell bekommt Unterstützung durch molekularbiologische Untersuchungen an genetischem Material, das in den Mitchondrien der Zellen vorkommt, und nur über die weibliche Linie vererbt wird (vgl. Exkurs 1).52
Siehe dazu R.L. Cann, M. Stoneking und A.C. Wilson 1987.
Ein Vergleich von bisher ca. 4000 Personen aus verschiedenen Teilen der Erde scheint auf eine Frau als gemeinsame Urahnin hinzuweisen, die vor ungefähr 150 000 Jahren in Afrika lebte: Die "mitochondriale Eva".53
Siehe Leakey 1994: 96-97.
Allerdings heisst dies nicht, dass nun die Frage nach dem zutreffenden Modell endgültig entschieden wäre. Aus den gesammelten Daten wurde mittels Computeranalyse ein optimaler Stammbaum berechnet, was kritische Stimmen auf den Plan gerufen hat, die darauf aufmerksam machen, dass diese Analyse u.U. auch zu einem anderen Resultat führen kann, weil nämlich jeweils nicht sicher ist, ob das Ergebnis rechnungstechnisch wirklich einem globalen und nicht nur einem lokalen Optimum entspricht.54
Siehe dazu Wills 1993: 49 ff.
Abbildung 6: Die beiden gegensätzlichen Modelle für die Entstehung von Homo sapiens: Links das multiregionale oder Kandelaber-Modell, das nach einer früheren Migrationsphase von Homo erectus eine auf den verschiedenen Kontinenten parallel verlaufende durchgehende Entwicklung zum Homo sapiens annimmt, wobei aber zwischen den Regionen auch ein gewisser Genaustausch vorkommt. Rechts das "Out of Africa"- oder "Arche Noah"-Modell, das eine jüngere Wanderungswelle für den aus Afrika stammenden Homo sapiens postuliert, die dann auch die vorhandene erectus-Bevölkerung verdrängt (aus Leakey 1994: 87)
Abbildung 6: Die beiden gegensätzlichen Modelle für die Entstehung von Homo sapiens: Links das multiregionale oder Kandelaber-Modell, das nach einer früheren Migrationsphase von Homo erectus eine auf den verschiedenen Kontinenten parallel verlaufende durchgehende Entwicklung zum Homo sapiens annimmt, wobei aber zwischen den Regionen auch ein gewisser Genaustausch vorkommt. Rechts das "Out of Africa"- oder "Arche Noah"-Modell, das eine jüngere Wanderungswelle für den aus Afrika stammenden Homo sapiens postuliert, die dann auch die vorhandene erectus-Bevölkerung verdrängt (aus Leakey 1994: 87)
Sollte das "Out of Africa"-Modell zutreffen, dann würde dies auch bedeuten, dass die verschiedenen Menschenrassen einander sehr viel näher verwandt wären als bisher angenommen. Danach wäre vor nur etwa 120 000 Jahren zunächst eine Abspaltung der negroiden Rasse und dann vor etwa 50 000 Jahren eine Differenzierung in die mongolide und die europide Rasse erfolgt. Gould findet die Vorstellung eines relativ rezenten, gemeinsamen Ursprungs ungeheuer wichtig: Sie deute darauf hin, dass alle Menschen, ungeachtet ihrer äusserlichen Unterschiede, zu einer einzigen Familie gehörten.55
Nach Schär 1988.
Luca Cavalli-Sforza, der ausgedehnte Untersuchungen über die genetische Verwandtschaft der verschiedenen Zweige der Menschheit durchgeführt hat, ist denn auch der Meinung, man sollte überhaupt aufhören, von Rassen zu sprechen, insbesondere auch, weil genügend Unheil damit angerichtet worden sei.56
Siehe Luca Cavalli-Sforza und Francesco Cavalli-Sforza 1994. Zu einer eher herkömmlichen Rassenkunde siehe John R. Baker 1989. Mit dem Missbrauch, der mit anthropologischen Messungen getrieben worden ist, um die Überlegenheit der einen über die andere Rasse zu "beweisen", hat sich Gould 1983 ausführlich beschäftigt.
Aber noch einmal zurück zur Frage der "mitochondrialen Eva". Diese Rekonstruktion bedeutet nicht, dass unsere Abstammung buchstäblich auf eine Frau zurückgeht. Was aber sonst sollen wir uns dann vorstellen? Es gibt zwei verschiedene Vorschläge (vgl. Abbildung 7):57
Vgl. Wills 1993: 34 ff.
Abbildung 7: Einfache Skizze des Avise- und des Brown-Modells für die mitochondriale Abstammungsgeschichte. Das erstere Modell nimmt an, dass aus einer Population normaler Grösse nur ein Vererbungszweig bis heute überlebt hat, während das letztere einen zurückliegenden grössenmässigen Flaschenhals postuliert (aus Wills 1993: 39)
Abbildung 7: Einfache Skizze des Avise- und des Brown-Modells für die mitochondriale Abstammungsgeschichte. Das erstere Modell nimmt an, dass aus einer Population normaler Grösse nur ein Vererbungszweig bis heute überlebt hat, während das letztere einen zurückliegenden grössenmässigen Flaschenhals postuliert (aus Wills 1993: 39)
1.
Das Modell von Wesley M. Brown: Die heutigen Menschen gehen auf eine kleine, mitochondrial monomorphe Population zurück, die vor 180 000 bis 360 000 Jahren lebte. Wie aber ist es denkbar, dass die ganze Population die gleichen mitochondrialen Chromosomen hatte? Dies erscheint möglich, wenn sie in ihrer Grösse vorübergehend stark reduziert war, vielleicht auf ein paar hundert Leute zusammengeschrumpft, und so einen Flaschenhals bezüglich der weiteren Entwicklung darstellte. Es ist denkbar, dass während dieser Zeit, die vielleicht eine Generation lang oder aber auch länger dauerte, genetische Varianten durch Zufall verloren gingen. Wills vergleicht diese Situation mit Münzen im Portemonnaie: Wenn nur wenige darin sind, ist die Chance, dass zufällig alle von der gleichen Sorte sind, grösser. Oder aber die genetische Einförmigkeit lässt sich damit erklären, dass ein bestimmter mitochondrialer Typ so starke Vorteile bot, dass die andern verschwanden.
2.
Modell von John C. Avise: Nach dieser Auffassung gibt es keinen Grund für eine solche Annahme, wie sie im Brown-Modell getroffen wird. Die Population könnte durchaus viel grösser gewesen sein und verschiedene mitochondriale Typen enthalten haben. Die Rückführung auf scheinbar eine Ahnin bedeutet einfach, dass nur eine Vererbungslinie mit ihren Verzweigungen bis heute überlebt hat, während alle anderen durch "Unfälle" ausgestorben sind, d.h. die betreffenden Frauen hatten keine oder nur männliche Nachkommen. Hätte man den mitochondrialen Zustand der Bevölkerung in früheren Zeiten rekonstruieren und daraus wiederum auf eine gemeinsame Urahnin zurückrechnen können, wäre dieser scheinbare Ursprung einfach zeitlich weiter zurückverschoben worden. Bei Wiederholung ergäbe dies eine unendliche Regression von Evas!
Wills neigt eher dem Brown-Modell zu, und zwar aufgrund von Wahrscheinlichkeitsberechnungen. Er fragte sich: Wie gross hätte die Population sein dürfen, damit das alleinige Überleben von einer Vererbungslinie bis heute als möglich erscheint? Die Antwort: Sie hätte gefährlich klein sein müssen, indem sie nämlich bei einer Betrachtung der letzten 250 000 Jahre über die meisten der rund 10 000 Generationen nur etwa 6000 Individuen hätte betragen dürfen. Bei einem Betrachtungszeitraum von 500'000 Jahren würde sich diese Zahl verdoppeln.58
Siehe Wills 1993: 40.
3. Der Prozess der Menschwerdung
3.1 Aufrechter Gang und Leben in der Savanne
3.2 Der Mensch als "sekundärer Nesthocker"
3.3 Vom Werkzeuggebrauch zur Werkzeugherstellung
4. Das menschliche Gehirn
4.1 Das Dreifachhirn
4.2 Die hemisphärische Spezialisierung
4.3 Bedeutung der menschlichen Gehirnorganisation
4.4 Hypothesen zur Gehirnentwicklung
5. Die menschliche Sprache
5.1 Organische Voraussetzungen
5.2 Die Form der menschlichen Sprache
5.3 Basiert die Sprache auf genetischen oder sozialen Strukturen?
5.4 Wie ist die Sprache entstanden?
Zitierte Literatur