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Menschwerdung

Menschwerdung

1. Menschwerdung
1.1 Der Mensch: Krone der Schöpfung oder Laune des Zufalls?
1.2 Der Mensch als emergentes Phänomen
1.3 Wie unterscheidet sich der Mensch vom Tier
Wenn der Mensch ein neues emergentes Phänomen der Evolution darstellt, dann muss er Merkmale aufweisen, die ihn von den Eigenschaften der nächstunteren Stufe, aus der er herausgewachsen ist, deutlich unterscheiden. Wir können die Frage so stellen: Welches sind die Merkmale, die den Menschen vom Tier unterscheiden? Tabelle 1 versucht, solche aufzulisten. Mit einigen der Merkmale werden wir uns unten noch eingehender beschäftigen, insbesondere mit der Entwicklung und Organisation des Gehirns und der Entstehung der Sprache.
Tabelle 1: Eine Liste biologisch-körperlicher und psycho-sozialer Merkmale, die den Menschen vom Tier unterscheiden
Biologisch-körperliche Merkmale
Psychisch-soziale Merkmale
-
Aufrechter Gang (Bipedalismus)
-
Grosses Gehirn
-
Lateralisierung des Gehirns
-
Veränderte Proportion der Gliedmassen
(relativ kurze Arme, relativ lange Beine)
-
Füsse als Gehorgane
-
Manipulierfähigkeit der Hände, speziell
auch Opponierbarkeit des Daumens
-
Form des Gebisses (kleine Eckzähne,
Backenzähne mit grossen Mahlflächen)
-
Gesichtsform (flach mit prominenter, nach
unten gedrehter Nase)
-
Stimmapparat
Nacktheit (kein Fell), dafür gut ausgebildete
Schweissdrüsen
-
Pflegebedürftigkeit des Kleinkindes
-
Lange Kindheit
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Instinktarmut
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Permanente Sexualität
-
Tradierung von Wissen und Handlungs-
weisen (Grundlage von Kultur)
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Werkzeugherstellung
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Produktion von Kunst
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Gesprochene Sprache
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Symbolverständnis
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Sozialität
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Nahrungsteilung
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Kollektives Gedächtnis
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Selbstbewusstsein
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Empathievermögen
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Abstraktionsvermögen
-
Fähigkeit zur taktischen Täuschung (Lügen)
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Weltoffenheit
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Konzentrierte Denkfähigkeit
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Willensfreiheit
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Zielgerichtetes Handeln
-
Moralische Entscheidungsfähigkeit
Allerdings wird aufgrund neuer während der letzten Jahrzehnte gemachter Befunde eigentlich immer weniger klar, welche Eigenschaften den Menschen wirklich eindeutig von den Tieren trennen. Insbesondere Studien an unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen, haben die relative Verwischtheit der Grenze gezeigt. Schimpansen verfügen z.B. über die folgenden Fähigkeiten:
·
Sie können in einem bestimmten Umfang das Vokabular einer Zeichensprache lernen: Seit den 60er Jahren sind in den USA verschiedene relativ erfolgreiche Versuche unternommen worden, Schimpansen (einer davon trug den Namen Nim Chimsky11
Dieser Name enthält eine Anspielung. Welche, wird später im Text klar werden.
) und Gorillas eine Zeichensprache beizubringen. Einige schafften es, "Ameslan" (= American Sign Language, eine Zeichensprache der Gehörlosen) zu lernen, Objekte zu benennen und Namen zu anderen, ähnlichen Objekten zu generalisieren. Die kommunikativen Fähigkeiten der Menschenaffen beschränken sich aber im allgemeinen auf kombinatorische Sequenzen; sie haben kein Verständnis für Satzstrukturen (vgl. dazu 5.1).12
Vgl. Richard Leakey 1981: 127 ff. Ausführliche Schilderungen finden sich in Eugen Linden 1981 und Sue Savage-Rumbaugh und Roger Lewin 1995.
·
Sie verfügen über ein gewisses Abstraktionsvermögen: Z.B. sind Versuche durchgeführt worden, in denen in einem Raum an der Decke eine Banane aufgehängt wurde, und zwar so, dass sie ausserhalb der normalen Reichweite des Prüflings war. In einer Ecke des Raumes stand auch eine Kiste. Nach einer Weile kam der Schimpanse tatsächlich auf die Idee, die Kiste unter die Banane zu stellen, darauf zu steigen und die Frucht abzuhängen. Und dies dürfte durchaus nichts Aussergewöhnliches sein. Der Primatenforscher Frans de Waal geht so weit, zu sagen: "Dies ist der Eindruck, den Schimpansen bei fast allem, was sie tun, vermitteln: Sie sind denkende Wesen, genauso wie wir."13
Frans de Waal 1993: 44.
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Sie haben auch ein gewisses Bewusstsein von sich selbst: In Versuchen sind änästhesierten Tieren Farbflecken auf die Stirne gemalt worden. Nach dem Aufwachen erhielten sie einen Spiegel (sie waren schon vertraut damit) und wenn sie sich darin erblickten, berührten sie mit ihren Fingern den Fleck und versuchten, ihn zu entfernen.14
Nach Jeffrey Moussaieff Masson und Susan McCarthy 1995: 181.
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Sie können ein empathisches Verhalten zeigen: Körperliche Berührungen finden zur Versöhnung zwischen Individuen statt, die noch vor kurzem einen Streit ausgetragen haben, oder auch zwecks Tröstung zwischen einem Individuum, das durch ein anderes Tier drangsaliert worden ist, und einem Drittindividuum. Dazu de Waal: "Wenn man zwei Schimpansen sieht, die mit einem langandauernden Kuss beschäftigt sind, dann haben sie sich aller Wahrscheinlichkeit nach vor nicht allzu langer Zeit feindlich gegenübergestanden. Wenn sie sich nur gegenseitig umarmen, so ist es wahrscheinlicher, dass die Spannung durch eine dritte Partei verursacht wurde."15
De Waal 1993: 48.
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Sie können taktische Täuschungsmanöver durchführen: In einem Versuch wurde eine mit Bananen gefüllte Kiste aufgestellt und, als sich ein Tier näherte, ferngesteuert geöffnet. Der Schimpanse sah die Früchte, schloss den Deckel aber rasch wieder, da ein Kumpan ebenfalls in der Gegend war. Er tat so, wie wenn nichts wäre, entfernte sich von der Kiste und wartete, bis das andere Tier verschwunden war. Erst dann kehrte er zurück, um sich die Bananen zu sichern. Aber er war ausgetrickst worden. Sein Konkurrent hatte gemerkt, dass da etwas Besonderes war, hatte sich bloss versteckt und kam jetzt rasch wieder zum Vorschein.16
Nach Leakey 1994: 152.
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Sie scheinen auch eine ästhetische Empfindungsfähigkeit zu haben: Ein Student, der im Gombe-Nationalpark in Tansania Schimpansen beobachtete, stieg eines Tages auf einen Hügel, um den Sonnenuntergang zu geniessen. Als er da sass, sah er plötzlich zwei Schimpansenmänner, die unabhängig voneinander ebenfalls den Hügel erkletterten. Erst als sie oben ankamen, sahen sie einander, begrüssten sich dann und sassen zusammen nieder - den Studenten hatten sie nicht bemerkt. Still sahen dann alle drei der untergehenden Sonne zu bis die Dämmerung einsetzte.17
Nach Masson und McCarthy 1995: 192.
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Sie sind eines gewissen Werkzeuggebrauchs fähig: Sie suchen passende Halme, um damit in Termitenhügeln zu stochern. Wenn sie sie herausziehen, bleiben einige Termiten daran hängen und können dann von den Schimpansen mit dem Mund abggestreift werden - diese Insekten gelten als Delikatessen. Es sind auch Schimpansen bekannt, die Steine verwenden, um harte Nüsse zu knacken. Solche Verhaltensweisen sind aber immer gruppenspezifisch, d.h. sie gehen via Imitation an die nächste Generation weiter und bilden so eine erste Form von einfacher Kultur.18
Siehe z.B. Jane Lawick-Goodall 1971: 35.
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Sie können auch, allerdings in nur sehr beschränktem Masse, die Herstellung von primitivsten Steinwerkzeugen lernen.19
Nach Leakey 1994: 38.
Insgesamt aber ist uns klar, dass der ganze Komplex von Merkmalsunterschieden eine entscheidende Differenz bewirkt. Der Mensch ist ein vollkommen anderes Wesen als der Schimpanse, denn schliesslich ist es jener und nicht dieser, der den ganzen Erdball umzukrempeln imstande ist. Verblüffend ist, dass die genetische Differenz zwischen Menschen und Schimpansen minim ist (vgl. 2.2). Wie kann ein kleiner Unterschied in den Anlagen eine so gewaltige Verschiedenheit der Lebensweisen bewirken? Der Mensch verfügt von Natur aus über eine "capacity for culture", wie Stephen Boyden dies nennt,20
Stephen Boyden 1987: 10.
und zwar in einem Masse, dass sich eine positive Rückkopplung zwischen der kulturellen Entwicklung und den biologischen Grundlagen ergeben kann. Christopher Wills sieht z.B. die auffällige Grössenentwicklung des menschlichen Gehirns (vgl. 4) in diesem Zusammenhang. Er meint:
As our cultures evolved in complexities, so did our brains, which then drove our bodies toward greater responsiveness and our cultures toward still greater complexity in a feedback loop. Big and clever brains led to more complex cultures and bodies better suited to take advantage of them, which in turn led to yet bigger and cleverer brains.21
Christopher Wills 1993: xxii.
1.4 Entlässt die Natur den Menschen?
1.4.1 Philosophische Anthropologie
1.4.2 Soziobiologie
2. Zur Stammesgeschichte des Menschen
2.1 Zur Entwicklung der Ideen über die Abstammung des Menschen
2.2 Zum Stammbaum des Menschen43
Den Textteil, der mit den in der menschlichen Stammesgeschichte unterschiedenen Arten zu tun hat, habe ich vor bald 10 Jahren geschrieben. Inzwischen sind weitere Knochenfunde gemacht worden und das Bild hat sich wieder verändert, nicht grundsätzlich, aber jedenfalls verfeinert, indem weitere Arten unterschieden werden. Für den neusten Stand der Dinge siehe z.B. Friedemann Schrenk 1997 und Ian Tattersall 1997.
2.3 Zur Herkunft des Homo sapiens
3. Der Prozess der Menschwerdung
3.1 Aufrechter Gang und Leben in der Savanne
3.2 Der Mensch als "sekundärer Nesthocker"
3.3 Vom Werkzeuggebrauch zur Werkzeugherstellung
4. Das menschliche Gehirn
4.1 Das Dreifachhirn
4.2 Die hemisphärische Spezialisierung
4.3 Bedeutung der menschlichen Gehirnorganisation
4.4 Hypothesen zur Gehirnentwicklung
5. Die menschliche Sprache
5.1 Organische Voraussetzungen
5.2 Die Form der menschlichen Sprache
5.3 Basiert die Sprache auf genetischen oder sozialen Strukturen?
5.4 Wie ist die Sprache entstanden?
Zitierte Literatur