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Lebensstil

Lebensstil

1. Begriffliches: Lebensstandard, Lebensqualität, Lebensstil
2. Gesellschaftliche und psychologische Hintergründe
2.1 Einheit und Vielfalt, Freiheit und Zwang
2.2 Werte
2.3 Bedürfnisse
Woher kommt die Antriebsenergie für unsere Wertorientierungen überhaupt? Die häufigste Ansicht ist die, dass sie auf menschliche Bedürfnisse zurückgehen, Bedürfnisse zunächst, die mit unserer biophysischen Existenz zu tun haben und dass im Laufe der Menschheitsgeschichte in verschiedenartiger Weise kulturell überformt werden. In diesem Sinne redet Jürgen Habermas davon, dass Wertsysteme geschichtlich bestimmte Interpretationen von Bedürfnissen seien.1
Siehe Jürgen Habermas 1970,, 127, zitiert in Hillmann 1989, 62.
Allerdings entspringen Werte nicht nur menschlichen Grundbedürfnissen, sondern auch den sich wandelnden, von Wissen, Technik, Wirtschaft, Herrschaft usw. geprägten Mensch-Umwelt-Beziehungen, die sich auch verändernd auf die Grundbedürfnisse auswirken.2
Nach Hillmann 1989, 62.
An dieser Stelle lohnt es sich, einen Blick auf die vom humanistischen Psychologen Abraham A. Maslow (vgl. 6 in “Bewusstsein”) ausgearbeitete Bedürfnistheorie zu werfen. Diese ordnet die menschlichen Bedürfnisse in eine hierarchische Rangfolge ein, die aus fünf Stufen besteht, und nicht nur das Wachstum von der Kindheit zum reifen Erwachsenenalter, sondern auch das Wachstum der Gesellschaften im Laufe der kulturellen Evolution charakterisieren soll:3
Hauptsächlich nach Charles Hampden-Turner 1983, 118-119. Die Originalquelle ist Abraham E. Maslow 1981.
1
Physiologische (Selbsterhaltungs-)Bedürfnisse: Stillung von Hunger und Durst, Verlangen nach körperlicher Aktivität;
2
Sicherheits-Bedürfnisse: Verlangen nach Sicherheit, Ordnung und Schutz;
3
Zugehörigkeits-Bedürfnisse: Wunsch nach Geselligkeit, Anerkennung und Geliebtwerden;
4
Bedürfnis nach Achtung: Verlangen nach Status, Ansehen und Anerkennung;
5
Bedürfnis nach Selbstverwirklichung: Wunsch nach persönlicher Erfüllung und Wachstum.
Oft werden die ersten vier Stufen, wie in Abb.2 gezeigt, zu den zwei Ebenen von materiellen (1 und 2) und sozialen (3 und 4) Bedürfnissen zusammengefasst. Damit haben wir eine Unterteilung, die wieder eine Parallele zur Dreiteilung der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Reproduktion, Organisation und Orientierung aufweist (vgl. 1.2 in “Kulturelle Evolution”). Maslow vertritt nun die Ansicht, dass höhere Bedürfnisse sich erst bemerkbar machen können, wenn vorher die darunter liegenden voll abgedeckt sind. Erst wenn ich satt bin, kann ich den Wunsch verspüren, mich meinen Mitmenschen zuzuwenden, usw. Diese Auffassung hat recht vehemente Kritik hervorgerufen, zum Teil wird sie ja auch durch die Realität widerlegt. Z.B. gibt es Hungerkünstler und religiöse Fanatiker, aber vermutlich wichtiger ist der Umstand, dass der in der westlichen Zivilisation in den letzten Jahrzehnten ständig steigende materielle Wohlstand die Menschen nicht glücklicher gemacht hat, was eigentlich der Fall sein sollte, denn jetzt müsste der Weg in Richtung der höheren Bedürfnisebenen völlig frei sein. Stattdessen aber sind die Menschen unzufriedener, unsicherer, ängstlicher, entfremdeter und frustrierter geworden.4
Siehe Micheal Bartelt, Helga Grippe, Kurt Kaiser, Karl Ernst Wenke, Horst Westmüller und Horst Zillessen 1978, 21-22.
Erinnern wir uns auch an das alte Sprichwort: “Ein voller Bauch studiert nicht gern”. Es scheint plausibel, dass die menschliche Bedürfnisstruktur nicht so linear gesehen werden kann; erwiesenermassen kann es mannigfaltige Wechselwirkungen geben. Diese Frage der Wirkungsweise der Bedürfnisse ist auch von grosser Bedeutung im Zusammenhang mit der Entwicklungszusammenarbeit. Dort wird oft die Meinung vertreten, der Befriedigung der Grundbedürfnisse, der Basic Needs, müsste vor allem anderen höchste Priorität eingeräumt werden. Eine andere Auffassung fordert dagegen eine simultane Betrachtung aller Ebenen der Maslow’schen Hierarchie. Zweifellos können Hungerkrisen nicht negiert werden, aber darüber hinaus vertreten Michael Bartelt u.a. die Auffassung, dass es in einem gewissen Rahmen möglich ist, einen begrenzten materiellen Zuwachs oder sogar ein materielles Weniger durch ein immaterielles Mehr, durch intellektuelle, geistig-seelische und emotionale Entwicklung und Selbstverwirklichung zu kompensieren.5
Vgl. Bartelt u.a. 1978, 20.
Abbildung 2: Die Bedürfnispyramide nach Maslow, als evolutionäre Hierarchie (vgl. 4.2 in "Weltbider") dargestellt (aus Steiner 1998, 15).
Abbildung 2: Die Bedürfnispyramide nach Maslow, als evolutionäre Hierarchie (vgl. 4.2 in "Weltbider") dargestellt (aus Steiner 1998, 15).
Mit der Selbstverwirklichung an der Spitze ist die Bedürfnispyramide nach oben grundsätzlich offen, sie zielt also ins Unendliche. Dies ist unproblematisch bzw. sogar positiv zu werten, solange es eine immaterielle Dimension ist, auf der kein Ende zu finden ist. Nun aber verbindet Maslow mit seiner Bedürfnistheorie auch eine Vorstellung pathologischer Zustände, und diese kann allenfalls noch ein neues Licht auf die festgestellte Unersättlichkeit der westlichen Gesellschaft in materieller Hinsicht werfen. Es kann nämlich Regressionen (d.h. Rückfälle auf niedrigere Stufen) geben, bei denen Bedürfnisebenen miteinander verwechselt werden.6
Vgl. Hampden-Turner 1983, 118.
Dies kann sich dann darin äussern, dass “niedrigere Bedürfnisse” im Übermass befriedigt werden, ohne dass es zu einer Sättigung kommt, weil der Bedürfnispfeil weiterhin nach oben ins Unendliche zeigt. Jedenfalls scheint es schon total verrückt zu sein, dass sich in unserer ökonomischen Gesellschaft die Befriedigung materieller Bedürfnisse (zugegeben: es gibt auch noch Dienstleistungen) gewissermassen zu einem Selbstzweck entwickelt hat, womit also die unterste Stufe in Maslow’s Pyramide die dominante Rolle spielt.
Der Ethologe Hans Kummer denkt aber, dass unsere materielle Unersättlichkeit, zum Teil wenigstens, auch biologische Ursachen haben kann.7
Siehe Hans Kummer 1976,.
Von einem ursprünglichen Instinktverhalten dürfen wir erwarten, dass es ökologisch sinnvoll ist. Wenn es aber - soweit es tatsächlich auch beim Menschen noch wirksam ist - in ein soziokulturelles Umfeld gelangt, speziell in das einer ökonomischen Gesellschaft, kann es zu absurden Ergebnissen führen. Kummer erklärt dies so: Das Verhalten eines Tieres lässt sich durch zwei unterschiedliche Wertmassstäbe beurteilen: 1. Durch einen Überlebenswert (Anpassung nach aussen, eine langfristige Angelegenheit) und 2. einen Befriedigungswert (kurfristige Anpassung nach innen). Tiere orientieren sich dabei nach dem zweiten, nicht nach dem ersten, aber im evolutionären Resultat stellt der kurzfristige Befriedigungswert den Kompass zum langfristigen Überlebenswert dar. Das funktioniert aber nur so lange, wie ein Lebewesen in seiner natürlichen Umwelt lebt. Wo das nicht mehr der Fall ist, wie beim Menschen, kann das Prinzip der kurzfristigen Befriedigung langfristig zu negativen Folgen führen, z.B. dann, wenn das Verhaltenssystem auf Maximierung eingestellt ist. Kummer gibt ein Beispeil, das auf Konrad Lorenz zurückgeht: Ein Mensch hat die Wahl zwischen drei Leckerbissen verschiedenen Zuckergehalts, nämlich einem schrumpfligen sauren Apfel, einem süssen Apfel und einem sehr süssen Stück Patisserie (vgl. Abb.3). Als regelmässiger Diätbestandteil hat der süsse Apfel den höchsten Überlebenswert. Der Mensch wird aber häufig der Patisserie den Vorzug geben, deren Überlebenswert fragwürdig ist. Im natürlichen Zustand war das Prinzip der Maximierung vernünftig, weil es Nahrung mit zu hohem Zuckergehalt gar nicht gab.
Abbildung 3: Den Umweltneuerungen, die in der bisherigen Stammesgeschichte des Menschen kein Vorbild haben, ist das Verhaltenssystem oft nicht gewachsen. Die Neigung des Befriedigungssystems zu möglichst zuckerreicher Nahrung ist nur in der angestammten Umwelt ein verlässlicher Führer zu hohem Überlebenswert (aus Kummer 1976, 37)
Abbildung 3: Den Umweltneuerungen, die in der bisherigen Stammesgeschichte des Menschen kein Vorbild haben, ist das Verhaltenssystem oft nicht gewachsen. Die Neigung des Befriedigungssystems zu möglichst zuckerreicher Nahrung ist nur in der angestammten Umwelt ein verlässlicher Führer zu hohem Überlebenswert (aus Kummer 1976, 37)
3. Überlegungen zu einem neuen Lebensstil
3.1 Vom Haben zum Sein
3.2 Zur Möglichkeit eines Wertwandels
3.3 Das Kriterium der Nachhaltigkeit
4. Die biophysische Beurteilung von Lebensstilen
4.1 Das Konzept des ökologischen Fussabdrucks
4.2 Das Konzept des Umweltraums
5. Von unten her kommen wir in Bewegung
5.1 Der "Global Action Plan" (GAP)
5.2 Die Volksinitiative zur Verkehrshalbierung des Vereins "umverkehR"
Zitierte Literatur