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Ökonomisches

Ökonomisches

1. Begriffliches
1.1 Zum Begriff der Ökonomie
1.2 Zum Begriff der Arbeit
1.3 Zum Begriff des Kapitals
2. Formen der Arbeit
2.1 "Arbeit" in archaischen Wildbeutergesellschaften
2.2 Arbeit in den politischen Sklavenhalter-Gesellschaften der Antike
2.2.1 Landwirtschaftliche Arbeit als kultische Handlung
2.2.2 Die mehr oder weniger natürliche Arbeitsteilung: Handwerk und Frauenarbeit
2.2.3 Sklavenarbeit
2.2.4 Die Geringschätzung der manuellen Arbeit
2.3 Arbeit in den politischen Feudalgesellschaften des Mittelalters
2.3.1 Die Leibeigenschaft
2.3.2 Die bäuerliche Arbeit
2.3.3 Handwerkliche Arbeit und Zunftwesen
2.3.4 Die Rehabilitierung der Handarbeit
2.4 Arbeit im Industriekapitalismus der neuzeitlichen ökonomischen Gesellschaft
2.4.1 Transformation der Landwirtschaft und Heimindustrie
2.4.2 Fabrikarbeit
2.4.3 Arbeit als Ware
2.4.4 Arbeit als Quelle menschlicher Entfremdung
2.4.5 Taylorismus und Fordismus
2.4.6 Arbeitsmoral versus Berufsethik
3. Arten der Beziehung zum Boden
3.1 Archaische Gruppen als Teil des Landes, auf dem sie leben
3.2 Boden als Eigentum und als Ware: Politische und ökonomische Gesellschaften
4 Kaurischnecken, Geld und Kapital
4.1 Primitive Währung archaischer Art
4.2 Münzen und ihre politische Bedeutung in der Antike
4.3 Fegefeuer, Zins und Kredit im politischen Kontext des Mittelalters
4.4 Koloniale Ausbeutung, Kapitalakkumulation und Kommerzialisierung in der Neuzeit
5 Formen des Tausches: Von der Reziprozität zum Markt
5.1 Reziprozität bei vorpolitischen Gesellschaften
5.2 Redistribution in politischen Gesellschaften
5.3 Handel in den politischen Gesellschaften der Antike und des Mittelalters
5.3.1 Ökonomik versus Chrematistik
5.3.2 Märkte und Messen
5.3.3 Die Kaufleute
5.3.4 Gerechte Preise
5.4 Vom Merkantilismus zum Industriekapitalismus: Der Weg zur neuzeitlichen Marktwirtschaft
5.4.1 Der Merkantilismus und der Binnenmarkt
5.4.2 Vom Kolonialismus zum Industriekapitalismus
6 Zur ökonomischen Standardtheorie
6.1 Einige dogmengeschichtliche Hintergründe
6.2 Einige grundlegende Elemente der Theorie
7 Die Berücksichtigung der natürlichen Umwelt
7.1 Umweltökonomie
7.1.1 Der wohlfahrtsökonomische Ansatz
7.1.2 Der eigentumsrechtliche Ansatz
7.2 Ökologische Ökonomie
7.2.1 Das Konzept der Energie-Verkörperung von Gonzague Pillet
7.2.2 Das Konzept des Naturkapitals von Herman E. Daly
8 Die kulturelle Einbettung der Ökonomie
8.1 Eine Typologie wirtschaftsethischer Denkmuster (Ulrich Thielemann)
8.2 Das Konzept einer kulturellen Ökonomie (Joachim Schütz)
Joachim Schütz, alternativ denkender Ökonom und langjähriger Mitarbeiter in meiner Humanökologie-Gruppe, befasste sich im Rahmen seiner an der Universität Köln ausgearbeiteten Dissertation mit der Frage einer kulturell eingerahmten ökonomischen Theorie.321
Siehe Schütz 1990.
Darin geht er davon aus, dass zwischen der herrschenden Theorie und der realen Praxis ein Grundwiderspruch besteht. Die neoklassische Ökonomie sieht sich als wertfreie Wissenschaft, als eine Art Naturwissenschaft gewissermassen, die die Gesetzmässigkeiten der wirtschaftlichen Prozesse untersucht. Tatsächlich hat sie sich, wie wir schon gesehen haben (vgl. 6.1), bezüglich Objektivitätsansprüchen auch immer an der Physik als Vorbild orientiert. Entsprechend erscheinen die wirtschaftlichen Prozesse als Ausdruck einer mechanischen, natürlichen (früher gottgegebenen) und damit unveränderlichen Ordnung. Ein offensichtlicher Ausdruck dieses weltanschaulichen Hintergrundes ist die Vorstellung des stabilen Gleichgewichtes (vgl. 6.2). Und die Ökonomie immunisiert sich auf diese Weise gegen normative Vorgaben. Die logische Folge ist aber auch, dass sie aus ihrem “objektiven” Wissensbestand Handlungsanleitungen für Unternehmen oder für die Politik im Sinne eines sozialen Ingenieurwesens ableitet, ähnlich eben wie technische Ingenieure Rezepte aus naturwissenschaftlichen Erkenntnissen gewinnen. Das Problem dabei: Die naturwissenschaftlichen Grundlagen der technischen Wissenschaften sind empirisch überprüft - stimmt aber das Entsprechende auch für die Ökonomie? Stellt sie nicht eher zwar logisch konsistente, aber abstrakte Modelle zur Verfügung, die mit der Wirklichkeit nur teilweise etwas gemein haben?322
Vgl. Schütz 1990, 9-10, 29-31.
Die in der Theorie ausgeblendete Wirklichkeit hat nun eben gerade mit kulturellen Praktiken und ethischen Werthaltungen zu tun. Tatsächlich gibt es in der real existierenden Ökonomie eine integrale Verflechtung von kulturell/ethischen und wertfreien Aspekten. Z.B. ist in jedem Land der Rahmen, in dem sich die Wirtschaftstätigkeiten abwickeln, mehr oder weniger kulturell bestimmt. Z.B. ist uns bekannt, dass in Japan das Verhältnis einer Firma zu der von ihr beschäftigten Arbeitskräften ein anderes ist als etwa in den USA. Für die westliche Zivilisation insgesamt haben wir ja auch die hintergründige Bedeutung der protestantischen Ethik für den Kapitalismus festgestellt (vgl. 2.4.6). Aber auch ökonomische Grössen können kulturell bestimmt sein. Z.B. gilt dies für die Preise, mindestens historisch, wenn wir uns an die antiken und mittelalterlichen Vorstellungen über “normale” oder “gerechte Preise” erinnern (vgl. 5.3.1 und 5.3.4). Aber auch heute verläuft die Preisbildung nicht einfach so, wie es die ökonomische Theorie unterstellt - wieso sonst bräuchten wir so ein Amt wie das des Preisüberwachers?323
Vgl. Schütz 1990, 16-17, 21-22.
Im Grunde genommen ist das, was wir ökonomisches System nennen, einfach Ausdruck eines sozio-kulturellen Regelungsmechanismus zur materiellen Bedürfnisbefriedigung. Umso mehr kann die Tatsache, dass die ökonomische Theorie ethische Überlegungen ignoriert, gravierende Konsequenzen haben: Auf ihrer Grundlage werden dann “objektiv richtige” gesellschaftliche Entscheide getroffen, die in Wirklichkeit immer auch ethische Implikationen haben. “Allein für die formale Wahlhandlung fühlt sich die theoretische Ökonomie zuständig, jedoch nicht für deren Folgen und Konsequenzen.”324
Schütz 1990, 5, 11.
Z.B. könnte ein gesellschaftlicher Entscheid darin bestehen, einen bestimmten Teil des staatlichen Budgets für Rüstung auszugeben, ökonomisch gesprochen also das Gut Sicherheit gegenüber anderen möglichen Gütern zu bevorzugen. Dies hat aber grosse Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft und weitere Bereiche der Gesellschaft: Die Rüstungsgüter sind dem produktiven Wirtschaftkreislauf entzogen und die für ihre Herstellung gebundenen Ressourcen (z.B. hochqualifizierte Arbeitskräfte) fehlen bei der Befriedigung anderer existentieller Bedürfnisse, ein akutes Problem v.a. für die Länder des Südens.325
Nach Schütz 1990, 11. Der Autor weist in Fussnote 11 auf einen 1981 publizierten UNO-Bericht hin, wonach damals weltweit mindestens 50 Mio. Menschen direkt oder indirekt im Rüstungssektor beschäftigt waren, darunter eine halbe Mio. hochqualifizierte Wissenschaftler, was rund 20% aller wissenschaftlich Tätigen der ganzen Erde entspricht. Der rüstungsbezogene Forschungsetat belief sich weltweit auf rund ein Viertel sämtlicher Forschungsausgaben.
Gefragt wäre somit eine ökonomische Theorie, die eine rein naturwissenschaftlich motivierte Orientierung überwindet und auch eine Integration normativ-ethischer Gesichtspunkte zulässt. Gibt es entsprechende Modellansätze? Jedenfalls kann die Standardtheorie mit dieser Herausforderung nicht umgehen. Schütz nennt dafür die folgenden Gründe:326
Nach Schütz 1990, 121-129.
1
Komplexe Entscheidungssituationen werden auf eine eindimensionale Grösse, nämlich Geldeinheiten, reduziert. Qualitative Aspekte gesellschaftlicher Voraussetzungen für und Folgen von solchen Entscheiden können nicht berücksichtigt werden.
2
Ausser individuellen Präferenzen gibt es keinen Ansatzpunkt für Wertentscheidungen. Eine Forderung nach “sozialer Gerechtigkeit” erscheint den Markttheoretikern als völlig verfehlt. Dass die Reichen Hauptanteile an Vermögen und Einkommen haben, ist irrelevant. “... für Eingriffe in die Ökonomie, die ethisch begründet werden, ist in diesem theoretischen Konzept kein Raum.”327
Schütz 1990, 124.
3
Zur Beurteilung der gesellschaftlichen Optimalität werden immer nur Marginalbetrachtungen (im Sinne von Grenzkosten und Grenznutzen, vgl. 6.2) herangezogen. Um etwas über Gerechtigkeit sagen zu können, wäre aber eine Globalbetrachtung vonnöten, die mit absoluten Grössen operiert.
4
Es gibt keine Möglichkeit, prinzipielle Unsicherheiten in die theoretischen Überlegungen einzubeziehen. Nichtwisssen wird in kalkulierbare Wahrscheinlichkeitsmodelle transformiert.
5
Egoistisches Verhalten wird nicht als ethisches Problem betrachtet, sondern als etwas, das dem Menschen natürlicherweise angeboren ist. Der Homo oeconomicus ist auf Konkurrenz getrimmt, und dieses Menschenbild verhindert, dass der Blick auf die Möglichkeit von Kooperation und positiven externen Effekten gerichtet werden kann.
Damit eine Integration der angesprochenen Art möglich wird, muss also die Standardtheorie mindestens revidiert oder gar gänzlich durch eine neue Theorie ersetzt werden. Dabei lässt sich eine Basis finden, die nach normunabhängigen oder wertfreien Prinzipien funktioniert und mit einem kulturell-normativen Rahmen versehen werden kann. Als eine solche Basis identifiziert Schütz Zusammenhänge, die auf systemtheoretische Art beschrieben werden können. Die Ökonomie erscheint dann als ein System, das sich aus verschiedenen miteinander vernetzten kumulativen Kreisläufen aufbaut (siehe Abb.27). Kumulativ bedeutet, dass ein Grundimpuls mit jedem Durchlauf durch den Zyklus quantitativ verstärkt wird, wobei der Impuls ein expansiver oder ein kontraktiver sein kann.328
Vgl. Schütz 1990, 139.
Der Kreislauf der Reproduktion (Arbeit - Löhne - Konsum - Arbeit) und derjenige der Produktion (Kapital - Profite - Investitionen - Kapital) stellen die beiden Grundzyklen des Systems in Abb.8 dar. Im ersteren Fall kann eine Veränderung der Löhne, des Konsums oder der Beschäftigung eine gleichgerichtete Veränderung der Folgegrössen auslösen. Im letzteren Fall gilt Entsprechendes für die Sequenz Profite - Investitionen - Kapital. Nun sind aber die beiden Zyklen über den Produktionsprozess auch miteinander verbunden, so dass sie sich gegenseitig beeinflussen. Als Beispiel diene die folgende Kausalkette: Erhöhte Konsumnachfrage ---> Investitionsimpuls ---> gesteigerte Produktion ---> höhere Löhne ---> grösserer Konsum ---> weiter verstärkte Investitionen usw. Bei gleichgerichteten Impulsen können sich die beiden Kreisläufe gegenseitig hochschaukeln, bei gegenläufiger Dynamik aber auch abbremsen.329
Nach Schütz 1990, 156.
Es ist auch möglich, dass der Elan eines Impulses durch Puffergrössen aufgefangen wird. Die Rolle von Puffern können z.B. das Sparen und der Profit, in gewissem Sinne auch die Arbeitslosigkeit und die Umweltverschmutzung übernehmen. Eine Erhöhung der Reallöhne etwa muss nicht zwangsweise zu einem erhöhten Konsum führen, sondern kann auch in verstärktem Sparen versickern.330
Siehe Schütz 1990, 160-161.
Abbildung 27: Das Wirtschaftssystem als ein Netz von kumulativen Zyklen. Zentral sind die Grundzyklen der Produktion (unten) und der Reproduktion (oben) (nach Schütz 1990, 157)
Abbildung 27: Das Wirtschaftssystem als ein Netz von kumulativen Zyklen. Zentral sind die Grundzyklen der Produktion (unten) und der Reproduktion (oben) (nach Schütz 1990, 157)
Woher kommen Veränderungsimpulse überhaupt? Die bisherige Theorie hat nur exogene Ursachen berücksichtigt, wobei doch Anstösse ebenso sehr vom Innern des Systems selbst kommen, also endogenen Charakter haben können. Ein bekannter und wichtiger Faktor hierbei ist der technische Fortschritt, der sich in einer Steigerung der Produktivität äussert. Diese hat im unteren Grundzyklus in Abb.27 tatsächliche oder auch erwartete Gewinnsteigerungen zur Folge, die ihrerseits Anlass für verstärkte, produktionsausweitende Investitionsanstrengungen sind. Eine Zunahme der Produktivität wirkt sich aber auch auf den oberen Grundzyklus aus, indem damit immer ein Abbau von Arbeitsplätzen verbunden ist. Es stellt sich dann die Frage, ob der expansive Impuls unten den kontraktiven Impuls kompensieren kann oder nicht. Jedenfalls können wir sehen, wie sich gerade aus diesem Zusammenhang ein Argument für einen wirtschaftlichen Wachstumszwang ableiten lässt: Wenn technischer Fortschritt stattfindet, muss er mit einer Ausweitung der Produktion gepaart sein, ansonsten zunehmende Arbeitslosigkeit zu verzeichnen ist. Insgesamt bewirkt ein technischer Innovationsschub, dass das Wirtschaftssystem sich nach einer expansiven Phase, mindestens im Produktionsbereich, auf einem höheren Niveau wieder einpendelt, womit dann die Möglichkeit gesteigerter Gewinne nicht mehr gegeben ist und die ganze Dynamik zum Erliegen kommt.
Ein anderer endogener Impulsgeber kann die Verhaltensänderung einer grösseren Anzahl der Wirtschaftssubjekte sein. Aus irgendeinem Grund trete z.B. eine verstärkte Sorge um die Zukunft ein, was viele Haushalte dazu veranlasst, mehr als bisher zu Sparen. Das heisst dann aber auch weniger Konsum, was eine rezessive Dynamik im oberen Zyklus von Abb.27 in Gang bringt. Auch das Umgekehrte kann der Fall sein: Es kann zu einem intensiveren Konsumverhalten kommen, was einem expansiven Impuls gleich kommt.331
Nach Schütz 1990, 161-163.
Solche Vorgänge haben immer mit bestimmten Erwartungshaltungen zu tun, die einen grösseren Teil der Wirtschaftssubjekte erfassen, und oft ist es dann so, dass das Erwartete mit der dadurch bewirkten Verhaltensänderung auch tatsächlich eintrifft. Wenn schlechtere Zeiten befürchtet werden, wird mehr gespart, mit dem Effekt, dass tatsächlich schlechtere Zeiten eintreten. Es passiert das, was der Philosoph und Psychotherapeut Paul Watzlawick die “selbsterfüllende Prophezeiung” genannt hat.332
Paul Watzlawick 1985, 91 ff.
Das vorher genannte Beispiel der technischen Innovation, die einen expansiven Schub auslöst, der dann wieder versandet, kann als typisch für das Verhalten des Wirtschaftssystems angesehen werden. Insgesamt kann es als ein (organisch-)homöstatisches System betrachtet werden. Die Eigenschaft der sog. Homöostase bezieht sich auf die Fähigkeit, Stabilität zu gewährleisten, d.h. innerhalb gewisser Schwankungsbreiten Störungen ausgleichen und den Systemzustand wieder in den Status quo rückführen zu können. Das können allerdings auch gewisse technisch-kybernetische Systeme - denken wir z.B. an die Einrichtung des Thermostaten bei Heizungssystemen -, aber deren Struktur bleibt dabei fest. Homöostatische Systeme dagegen können auf einen Impuls u.U. auch mit einer strukturellen Änderung reagieren, die sie auf ein neues, momentan stabiles Niveau bringt, eine Eigenschaft, die als Ultrastabilität bezeichnet wird. Dann ist es aber auch denkbar, dass das erreichte Niveau nicht aufrechterhalten werden kann und das System deshalb wieder auf ein tieferes stabiles Niveau zurückfällt. Die möglichen Arten der zeitlichen Entwicklung eines interessierenden Systemzustandes, die sich damit ergeben, sind in Abb.28 dargestellt.333
Vgl. Schütz 1990, 142-143, 146-147. Zum Begriff der Homöostase siehe z.B. Georg Klaus 1969, 254.
Abbildung 28: Mögliche Arten der zeitlichen Entwicklung einer Zustandsvariablen des Wirtschaftssystems. Die ausgezogene Kurve links zeigt, wie eine Zustandsveränderung zwischen Niveaus 1 und 3 nach einem Impuls zuerst einen zunehmend expansiven, dann einen abflachend expansiven, mit anderen Worten einen sog. logistischen Verlauf nimmt. Dasselbe kann sich nach einem neuerlichen Impuls von Niveau 3 zu Niveau 4 wiederholen. Es ist aber auch möglich, dass sich das System auf dem neuen Niveau nicht halten kann und in den alten Zustand zurückfällt (gestrichelte Kurve), und dieser Vorgang der Expansion mit einer nachfolgenden Kontraktion kann sich wiederholen, so dass insgesamt dass System ein pseudo-zyklisches Verhalten zeigt, das den falschen Eindruck erwecken könnte, es pendle um ein Gleichgewicht auf Niveau 2 (aus Schütz 1990, 143)
Abbildung 28: Mögliche Arten der zeitlichen Entwicklung einer Zustandsvariablen des Wirtschaftssystems. Die ausgezogene Kurve links zeigt, wie eine Zustandsveränderung zwischen Niveaus 1 und 3 nach einem Impuls zuerst einen zunehmend expansiven, dann einen abflachend expansiven, mit anderen Worten einen sog. logistischen Verlauf nimmt. Dasselbe kann sich nach einem neuerlichen Impuls von Niveau 3 zu Niveau 4 wiederholen. Es ist aber auch möglich, dass sich das System auf dem neuen Niveau nicht halten kann und in den alten Zustand zurückfällt (gestrichelte Kurve), und dieser Vorgang der Expansion mit einer nachfolgenden Kontraktion kann sich wiederholen, so dass insgesamt dass System ein pseudo-zyklisches Verhalten zeigt, das den falschen Eindruck erwecken könnte, es pendle um ein Gleichgewicht auf Niveau 2 (aus Schütz 1990, 143)
So viel zum normenfreien Teil des Wirtschaftssystems, der sich als mit systemischen Gesetzmässigkeiten beschreibbar erweist. Wie steht es nun mit der Integration von kulturell-politisch inspirierten normativen Vorgaben? In jeder der zyklischen Kausalketten gibt es mehrere Ansatzpunkte, an denen Struktur und Dynamik des Systems beeinflusst werden können. Z.B. muss eine Produktivitätssteigerung nicht unbedingt einen expansiven Impuls auslösen, denn es kommt darauf an, wie sie weitergegeben wird. Dies kann auf verschiedene Weise geschehen, über Lohnerhöhungen, Preissenkungen oder einer Verringerung der Arbeitszeit. Die ersten beiden Optionen würden eine Expansion unterstützen, die letzte aber nicht, da der Effekt von der Pufferung aufgefangen würde.334
Siehe Schütz 1990, 153, 1651.
Es ist auch denkbar, dass die für die Standardökonomie heilige Kuh der dem Markt zu überlassenden Preisbildung geschlachtet wird. Warum? Der Markt hat weniger eine Fähigkeit, Preise in einem absoluten Sinn zu bestimmen als auf Preisänderungen zu reagieren. Insbesondere aber stellt er auch keinen ausgleichenden Mechanismus dar:
Entgegen weit verbreiteter Überzeugung ist gerade der Markt unter gegebenen Bedingungen nicht zwangsläufig in der Lage, einmal vorhandene Ungleichgewichte abzubauen. Der Markt kann zwar unter Umständen als Regulativ wirken, versagt aber bei ungleichgewichtigen Voraussetzungen. Sobald sich diese Unterschiede in Form von Marktmacht äussern, neigt der Markt eher dazu, Machtungleichgewichte zu vergrössern, als sie abzubauen.335
Schütz 1990, 174.
Aus derartigen Einsichten lässt sich durchaus eine Berechtigung zu einer normativen Korrektur des Preisniveaus einzelner Güter ableiten.336
Vgl. Schütz 1990, 176.
Letztlich am wichtigsten in Schütz’ Konzeption einer kulturellen Ökonomie ist aber vermutlich sein Plädoyer für ein gesellschaftlich legitimiertes Prinzip der Kooperation. In der Standardökonomie wird der Blick auf die Möglichkeit von Kooperation durch die ausschliessliche Fixierung auf das Prinzip der Konkurrenz verstellt, wodurch das wirtschaftliche Geschehen zu einem Nullsummen-Spiel degradiert wird: Zu jemandem, der gewinnt, gehört immer auch jemand, der verliert. Im Gegensatz dazu sind über kooperative Ansätze vielfältige Synergieeffekte denkbar, die vielen oder allen zugute kommen könnten. In der herkömmlichen Ökonomie aber ist der unbedingte Eigennutz die alleinige Leitgrösse, was soweit geht, dass davon abweichendes Verhalten als irrational erscheinen muss.337
Siehe Schütz 1990, 184-186.
Allerdings gilt dies nur für echt altruistisches, also selbstloses Verhalten, so weit solches überhaupt vorkommt, denn es gibt Formen von Altruismus und Solidarität, die die Ökonomie glaubt, als im Grunde genommen egoistisch entlarven zu können.338
Diese Überzeugung kann gelegentlich seltsame Blüten treiben. Der amerikanische kommunitaristisch orientierte Politologe Amitai Etzioni erwähnt einen Fall, in dem ein dogmatisch denkender Ökonom zutiefst beunruhigt war über die Tatsache, dass es Menschen gibt, die kirchlichen Organisationen Geld spenden, da sie ja während ihrer Lebenszeit dadurch keinen ersichtlichen Vorteil haben. Wie zog er sich schliesslich aus der Affäre? Er postulierte, dass sich die betreffenden Leute damit ihrem Glauben gemäss die Möglichkeit einer afterlife consumption, eines Konsums im Jenseits also, sichern (!) (Etzioni 1988, 26).
Dies tut sie ganz in Anlehnung an entsprechende biologische Vorstellungen in der Verhaltensökologie, die postuliert, dass Hilfe gegenüber Verwandten eigentlich eine eigennützige Hilfe gegenüber den eigenen Genen hinsichtlich ihres Fortlebens ist - diese kommen ja je nach Grad der Verwandtschaft auch zu einem grösseren oder kleineren Teil in eben diesen Verwandten vor.339
Siehe dazu z.B. “Evolution des Altruismus” in John R. Krebs und N.B. Davies 1984, 22 ff.
In ähnlicher Weise kann die Ökonomie behaupten, solidarisches Verhalten erscheine nur als ein solches, in Wirklichkeit werde damit z.B. lediglich ein kurzfristiger gegen einen längerfristigen Vorteil eingetauscht.340
Es kann deshalb nicht erstaunen, dass Vertreter und Vertreterinnen von Soziobiologie einerseits und utilitaristischer Ökonomie andererseits eine gegenseitige Seelenverwandtschaft entdecken und ein verstärkte Zusammenarbeit fordern. Ein Beispiel ist ein Artikel von Matt Ridley und Bobby S. Low, in dem sie den von Natur aus gegebenen menschlichen Egoismus im Hinblick auf die Umweltproblematik zur nützlichen erneuerbaren Ressource erklären: “Conventional wisdom has it that the way to avert global ecological disaster is to persuade people to change their selfish habits for the common good. A more sensible approach would be to tap a boundless and renewable resource: the human propensity for thinking mainly of short-term self-interest” (Ridley und Low 1994, 1). Für einen ausführlicheren Kommentar zu dieser Thematik siehe Steiner 1994.
Ein häufig genannter illustrativer Fall ist das Einhalten eines Gesellschaftskontraktes, das bereits als “kooperatives” Verhalten betrachtet wird. Dabei geht es aber nur darum, seine persönlichen Rechte zu reklamieren und die Existenz von Pflichten gegenüber der Gemeinschaft zu leugnen. “Gesucht ist das Quantum an ‘Solidarität’, das nötig ist, um das Eigeninteresse aller reibungslos zu sichern,” so wird dies von Schütz kommentiert.341
Schütz 1990, 190.
Bei der Vorstellung einer kulturellen Ökonomie sind wir natürlich auf der Suche nach einer anderen Art von Solidarität, eine, die nicht bloss eine gehobene Form von Egoismus darstellt, sondern auf Verantwortung gegenüber den Mitmenschen und dem Ganzen der Gemeinschaft gründet. Echte Kooperation führt zu positiven externen (damit also nicht monetär abgegoltenen) Effekten, die allen zugute kommen können. Dies schliesst eigennütziges Verhalten nicht aus, aber weist ihm einen Platz in einem weiter gefassten, ganzheitlichen Rahmen zu. Es geht also nicht darum, Solidarität und Mitgefühl gegen Selbstinteresse und Konkurrenz auszuspielen, sondern sinnvoll zueinander in Beziehung zu setzen.342
Nach Schütz 1990, 190-191, 194, 206-207.
Das Fazit: Es wäre darauf hin zu wirken, dass das Wirtschaftssystem wieder zu dem wird, was es eigentlich sein sollte: Eben ein Regelungsmechanismus zur materiellen Bedürfnisbefriedigung der Menschen, dessen konkrete Ausgestaltung durch normative Vorstellungen bzw. Vorgaben wesentlich bestimmt wird.343
Siehe Schütz 1990, 5.
9 Die Globalisierung: Chance oder Risiko? Ein fiktives Gespräch
Zitierte Literatur