Die verschiedenen Ausprägungen des Handelskapitalismus führen also zur Kapitalakkumulation und ermöglichen in der Folge einen sich immer weiter ausdehnenden Finanzkapitalismus mit all seinen Begleiterscheinungen. So entstehen vom 14. Jh. an internationale Börsen in Italien und Spanien (z.B. in Venedig, Florenz, Barcelona usw), vom 15. Jh. an auch im Norden (z.B. in Antwerpen, Lyon, Amsterdam, London, Hamburg usw.), die immer mehr an die Stelle der bisher dominierenden Messen (vgl. 5.3.2) treten. Während bei den letzteren die handelbaren Waren selbst anwesend sind - wenn auch vielleicht nur in Stichprobenform - und begutachtet werden können, wird bei den ersteren unter Abwesenheit der Waren mit stellvertrenden Wertpapieren gehandelt. Und die Messen finden nur periodisch statt, wogegen die Börsen eine tägliche Angelegenheit
sind.176Siehe Sée 1948, 39-40, und Braudel 1987, 99.
Vielfach finden die Versammlungen unter offenem Himmel und erst später in speziellen Gebäuden statt. In Dünkirchen z.B. “[versammeln sich] sämtliche Kaufleute [täglich] zur Mittagsstunde auf dem Platz vor dem Stadthaus, wo sich diese gewichtigen Herren öffentlich vor aller Augen Schimpfworte an den Kopf werfen und Zank und Streit
anzetteln.”177Zitiert von Braudel 1987, 98, nach einer A.N. G7 genannten Quelle.
Wo eine Börse ist, ist auch die Kapitalspekulation nicht weit. Tatsächlich wird schon früh mit der sog. Arbitrage gearbeitet, die örtliche Differenzen von Preisen und Wechselkursen auszunützen versucht. Ebenso entstehen schon im 16. Jh. die ersten Lotterien. Und das Versicherungswesen dehnt sich weiter aus - und in seinem Gefolge auch Betrügereien -, über den Bereich der Schifffahrt, in dem es schon länger existiert hat, hinaus. So gibt es jetzt auch Lebens- und Feuer-, ja sogar
Heiratsversicherungen.178Vgl. Sée 1948, 41-42, 105. Zur Spekulation siehe Braudel 1987, 101 f.
Und natürlich weitet sich auch das Bankwesen beträchtlich aus; in Italien und Deutschland werden private Depositenbanken gegründet, deren Gelder dann von den zuständigen Bankiers gerne für Spekulationszwecke eingesetzt werden, die nicht selten in einem Desaster enden. Um dem privaten Bankenwesen, das sich also teilweise als Unwesen entwickelt, etwas entgegenzusetzen, werden in der Folge auch staatliche Banken eingerichtet, so 1608 die Bank von Amsterdam und 1694 die Bank von
England.179Nach Sée 1948, 44, 78, 83, und Thomas 1984, 234.
Und die Geldnot der Fürstenhäuser führt auch immer wieder zu öffentlichen Anleihen - z.B. war die Handelsgesellschaft der Fugger von Augsburg, die in der ersten Hälfte des 16. Jh. ihre Blütezeit erlebte, ein wichtiger Geldgeber -, wobei dann aber auch die durch Bankrottfälle hervorgerufenen Finanzkrisen nicht
fehlen.180Vgl. Sée 1948, 43-44.
Nach Sombart trug die Entwicklung in Holland am meisten zur “Kommerzialisierung” des Wirtschaftslebens mit seiner “Entpersönlichung” des Kredits und damit zur Heranbildung einer kapitalistischen Gesinnung bei, was erst die Ausdehnung und den Sieg des Kapitalismus
ermöglichte.181Erwähnt bei Sée 1948, 79.
Dabei sind die Städte die Zentren, von denen dieser Wertewandel ausgeht und sich allmählich auch auf dem Lande bemerkbar macht. Zwar stellt dort Geld nur selten echtes Kapital dar, d.h. es wird mit Vorliebe zum Grunderwerb benutzt oder noch häufiger gehortet.