www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Ökonomisches

2.3.2 Die bäuerliche Arbeit

Was war aber nun der Charakter der bäuerlichen Arbeit des Mittelalters? Wir können uns hier nicht mit Einzelheiten beschäftigen,69 sondern werden versuchen, grundlegende Merkmale derselben herauszustellen. Eine allgemeine Beschreibung aus dem Buch “Bauern im Mittelalter” von Werner Rösener ist in dieser Hinsicht aufschlussreich:
Ein mittelalterlicher Bauernhof ist nicht vergleichbar mit einem modernen Bauernbetrieb, der seine spezialisierte Produktion mit grösstmöglichem Gewinn auf dem Markt abzusetzen versucht. Die alte Bauernwirtschaft stellte vielmehr ein System eigener Art dar, das seinen Grundbedarf an Nahrungsmitteln und Verbrauchsgütern aus seiner Hauswirtschaft deckte und sein Arbeits- und Wirtschaftsleben nach Möglichkeit unabhängig von der Aussenwelt gestaltete. Der Arbeitsaufwand der Bauernwirtschaft diente jedenfalls nicht in erster Linie der Erwirtschaftung hoher Profite, sondern der Sicherung der familiären Subsistenz. ...70
Der Begriff der bäuerlichen Hauswirtschaft ist bezogen auf das Haus des Bauern im umfassenden Sinn, auf das ‘ganze Haus’ ... Bäuerliche Familienwirtschaft meint daher den Gesamtkomplex bäuerlicher Tätigkeit in Haus- und Landwirtschaft, die ohne die zu diesem Haus gehörigen Menschen - neben Bauer und Bäuerin die mithelfenden Familienangehörigen und das Gesinde - nicht denkbar ist. Die mittelalterliche Ökonomik, die Lehre vom Oikos, vom ‘ganzen Haus’, befasst sich mit dieser ‘Wirtschaft’ im umfassenden Sinne. ... Die bäuerliche Wirtschaft bildete das Fundament der alteuropäischen Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur und wurde von den zahlreichen politischen Veränderungen im oberen Gesellschaftsbereich in seiner Substanz nur wenig berührt. ...71
Die zähe Überlebenskraft bäuerlicher Familienwirtschaft beruhte darauf, dass der Bauer seinen Hof nicht als Ertragsobjekt betrachtete, das man abzustossen hatte, wenn es nicht mehr rentabel war; ihm galt der Hof vor allem als dauerhafte Existenzgrundlage. Der Bauer alten Typs arbeitete auch dann weiter, wenn der Ertragswert seiner Arbeit niedriger lag als der ortsübliche Arbeitslohn; so bewahrte er sich seine Lebensgrundlage für die Zukunft. Da diese Bauernwirtschaft in ihrem Kern auf der nicht entlohnten Arbeit der Familienmitglieder beruhte, schränkte sie sich bei ungünstigen Verhältnissen ganz auf diese ein. Demnach sicherten die Bauern die Grundlage ihrer Existenz durch Einschränkung des Verbrauchs sowie gesteigerten Arbeitsaufwand der Familienmitglieder - durch Opfer also, die unter rein wirtschaftlichem Aspekt unrentabel waren. ...72
Zwischen Produktion und Konsum, zwischen der Grösse des Arbeitsertrages und dem Ausmass des Verbrauchs, herrscht also ... eine sichtbare Ausgewogenheit. ... In dieser Verhaltensweise zeigt sich, dass ‘die bäuerliche Familie ihre Arbeitskraft nie bis zum letzten ausnützt und zu arbeiten aufhört, wenn ihre Bedürfnisse entsprechend befriedigt sind und das wirtschaftliche Gleichgewicht erreicht ist’.73
In den bäuerlichen Kreisen gibt es also nach wie vor nichts, was als “ökonomische Geisteshaltung” bezeichnet werden könnte - eine solche war mit der Lebensweise der damaligen Zeit gar nicht möglich.

Anmerkungen

69
Entsprechende detaillierte Angaben finden sich dazu in Werner Rösener 1987, speziell 133 ff.
70
Rösener 1987, 133-134.
71
Rösener 1987, 134.
72
Rösener 1987, 134-135.
73
Rösener 1987, 135. Der letzte Satz enthält ein Zitat aus einer Arbeit des russischen Agrarwissenschaftlers A. Tschajanow.