www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Ökonomisches

2.2.3 Sklavenarbeit

Der klassischen Polis-Zeit vorausgehend (8.-6. Jh. v.u.Z.) hatte an zahlreichen Küstenplätzen des Mittelmeeres und des Schwarzen Meeres eine griechische Kolonisation stattgefunden. Diese führte zu einem allmählichen Anwachsen von Handel und Gewerbe. Am Anfang des 5. Jh. v.u.Z. gab es schon eine gewisse Produktion für den Markt und eine entsprechende Geldwirtschaft. Allgemein nahm das Interesse an einer Intensivierung der Produktion zu und führte zu einer wachsenden Verwendung von Sklaven.49 Nach den Perserkriegen (492-479 v.u.Z.) soll es in Athen 80 bis 90 000 Sklaven gegeben haben, d.h. auf jeden freien männlichen Erwerbsfähigen etwa deren zwei. Sklaven waren ein frei verfügbares Eigentum ihres Besitzers, also eine Ware. Entsprechend wurden sie auch meist durch Kauf erworben; gelegentlich kamen auch versklavte Kriegsgefangene dazu.50 In der marxistischen Theorie werden die antiken Kulturen als “Sklavenhaltergesellschaften” bezeichnet, und Friedrich Engels war der Meinung, ohne Sklaverei hätte es keine Arbeitsteilung geben können, ja wäre die ganze antike Zivilisation unmöglich gewesen: “Ohne Sklaverei kein griechischer Staat, keine griechische Kunst und Wissenschaft, ohne Sklaverei kein Römerreich.”51 Carl W. Weber ist einverstanden damit, dass die Sklaverei ein grundlegendes Element der griechischen Zivilisation war, hält aber sonst diese Aussage in ihrer Ausschliesslichkeit für übertrieben.52 Wie selbstverständlich aber die Sklavenhaltung dem antiken Bewusstsein erschien, lässt sich vielleicht am Beispiel der Grabstele eines Sklavenhändlers erahnen, auf der seine “Verdienste” dargestellt sind (siehe Abb.4).
Abbildung 4: Grabstele des Sklavenhändlers Aulos Kaprileos aus Amphipolis vom Ende des 1. Jh. n.u.Z. (aus Ebert u.a. 1984, 105)
Abbildung 4: Grabstele des Sklavenhändlers Aulos Kaprileos aus Amphipolis vom Ende des 1. Jh. n.u.Z. (aus Ebert u.a. 1984, 105)
Was haben die Sklaven und Sklavinnen denn überhaupt gearbeitet, was war ihre ökonomische Bedeutung? Zur Beantwortung dieser Frage muss grundsätzlich unterschieden werden zwischen Haussklaven und -sklavinnen und Unfreien, die in der Produktion tätig waren. Die ersteren wurden gesamthaft oikétai genannt, ein Wort, das von oikos (vgl. 1.1) abgeleitet ist, und für die typischen, in jedem Haushalt anfallenden Arbeiten wie Waschen, Putzen, Weben, Spinnen, Wasser holen, Einkaufen, Getreide mahlen, Backen, Kochen, bei Tisch bedienen usw. eingesetzt. Allgemein stellten sie die Stütze der oikonomia, der Hauswirtschaft dar. In begüterten Familien war es auch üblich, dass Sklavinnen die Funktion von Ammen und Kindermädchen ausübten und Sklaven diejenige von sog. “Pädagogen”, deren Aufgabe es war, heranwachsende Knaben überall hin zu begleiten und ihnen ihre Utensilien nachzutragen. Dass sich aus diesen Tätigkeiten Vertrauensstellungen entwickelten, war durchaus nicht unüblich, auch nicht, dass es zu lebenslangen engen Beziehungen zwischen Ammen bzw. “Pädagogen” und ihren Zöglingen kam. Dies waren Situationen, in denen die Institution der Sklaverei einigermassen menschliche Züge bekommen konnte. Andererseits blieb eine soziale Barriere immer bestehen, und im Handkehrum konnten Sklaven oder Sklavinnen brutal bestraft werden, wenn sich ihr Herr über irgendetwas ärgerte. Und dass sich dieser wohl oft das Recht herausnahm, die Sklavinnen in seinem Haus als Konkubinen zu betrachten, würde nach heutigem Verständnis in die Rubrik “sexueller Missbrauch” fallen.53 Es wird geschätzt, dass etwa die Hälfte der athenischen Haushalte über Sklaven verfügte. In denjenigen wohlhabender Bürger gab es mehrere; z.B. hatte Platon deren 5, Aristoteles sogar deren 13 oder mehr.54 Gesamtwirtschaftlich gesehen, meint Weber, komme diesen Haussklaven keine allzu grosse Bedeutung zu. Sie seien eine Art “Luxusware” gewesen, man hätte auch ohne sie auskommen können. Im Gegenteil, sie hätten insgesamt sogar eher einen negativen Effekt gehabt, indem angesichts der Bevölkerungszahl die regionale Landwirtschaft für die Selbstversorgung nicht ausreichte und Getreide eingeführt werden musste.55
Anders war es mit den Unfreien, die in der Landwirtschaft tätig waren, die auch in der klassischen Zeit immer noch die eigentliche Basis des Wirtschaftslebens darstellte. Hier stellten sie einen bedeutenden ökonomischen Faktor dar. Da technische Hilfmittel fast ganz fehlten, fiel eine Menge Arbeit an, v.a. bei der Pflege der Oliven- und Weinkulturen. Selbst ärmere Bauern hielten meist mindestens einen Sklaven. Auf kleinen bis mittelgrossen Betrieben arbeiteten Herren und Sklaven zusammen, während auf den grossen Gütern der Besitzer nicht selbst Hand anlegte. Hier stellte die Sklavenhaltung ein hierarchisches System mit Aufsehern und Vorarbeitern dar.56 Ausserhalb der Landwirtschaft wurden Sklaven auch in gewerblichen Betrieben beschäftigt. Dabei handelte es sich meistens um Kleinunternehmen in Familienhand, aber es gab auch schon ein paar grössere Betriebe, schon eigentliche Manufakturen mit einem industriellen Anstrich. Als Beispiel erwähnt Weber: “Die Gebrüder Lysias und Polemarch hatten ihr Kapital in die Rüstungsindustrie gesteckt. Sie beschäftigten in ihrer Schildfabrik 120 Sklaven.”57 Schliesslich beruhte auch der Bergbau hauptsächlich auf Sklavenarbeit. Einige der dabei anfallenden Arbeiten waren gefürchtet. “Zu den schlimmsten Plackereien gehörten das Hauen und Fördern des Erzes. In den engräumigen, nur etwa 90 Zentimeter hohen Stollen mussten die Säcke von Hand zu Hand weitergereicht werden. Niemand hatte Bedenken, diese Tätigkeit teilweise auch von Sklavenkindern verrichten zu lassen.”58

Anmerkungen

49
Vgl. Ebert u.a. 1984, 34-35.
50
Siehe Ebert u.a. 1984, 45.
51
Friedrich Engels, zitiert in Carl W. Weber 1989a, 195.
52
Vgl. Weber 1989a, 200.
53
Nach Weber 1989a, 147-154.
54
Von Aristoteles stammt auch die Aussage “Ein vollständiger Haushalt besteht aus Sklaven und Freien” (zitiert aus Weber 1989a, 147).
55
Vgl. Weber 1989a, 156-157.
56
Siehe Weber 1989a, 159-163. Vgl. auch Ebert u.a. 1984, 37.
57
Weber 1989a, 167.
58
Weber 1989a, 179. Der Autor weist ergänzend darauf hin, dass auch heute noch Bergwerksarbeiten zu den härtesten und gefahrvollsten gehören, und dass Kinderarbeit unter Tag bis weit ins 19. Jh. gang und gäbe war.