www.humanecology.ch · Skripten 1998/99 · Soziales

2.5 Bonobos

Die Bonobos, mit wissenschaftlichem Namen Pan paniscus, kommen nur innerhalb eines begrenzten Verbreitungsgebietes in Zentralafrika vor, und zwar südlich des Zaire-Flusses in Zaire. Sie werden auch Zwergschimpansen genannt, was aber irreführend ist, da sich ihr Körpergewicht mit demjenigen der kleinsten Unterart des gewöhnlichen Schimpansen überlappt. Sie unterscheiden sich aber von diesem durch ihren allgemein grazileren Körperbau und ein ziemlich anderes Sozialverhalten, das erst in neuerer Zeit gründlich studiert worden ist.27 Die stärksten Bindungen bestehen bei den Bonobos zwischen erwachsenen Frauen. Diese etablieren Beziehungen weit über ihre nähere Verwandtschaft hinaus und bilden starke weibliche Bündnisse. Auch zwischen den Geschlechtern gibt es starke Bindungen. Demgegenüber sind männliche Bindungen ziemlich schwach ausgeprägt; es fehlen den Männern die differenzierten Beziehungen zu anderen Geschlechtsgenossen wie die Schimpansen sie haben. Damit aber nehmen die Frauen eine weit zentralere Stellung ein als dies bei den Schimpansen der Fall ist. Der soziale Einfluss der Männer ist gering, sie werden von den mächtigen Frauenbündnissen dominiert und ohne die Unterstützung einer starken Mutter kann ein Mann nicht viel erreichen.28
Der Sex spielt bei den Bonobos eine entscheidende, verbindende Rolle. Es ist bei ihnen ein intensiveres Geschlechtsleben möglich als die Schimpansen es kennen, da die Brunstperiode der Frauen, die durch eine rosa Genitalschwellung angezeigt wird, über den grösseren Teil des Monatszyklus andauert, nicht nur über 10-12 Tage wie bei den Schimpansinnen. Darüber hinaus finden Paarungen auch ausserhalb der eigentlichen Brunstperiode statt, was bei den Schimpansen nicht vorkommt. Sie sind auch intimer, indem sie nicht ausschliesslich aber häufig von Angesicht zu Angesicht stattfinden. Und während der Sex bei den Schimpansen wenig variabel ist und normalerweise der Fortpflanzung dient, pflegen die Bonobos ein äusserst variantenreiches Geschlechtsleben, das auch unabhängig von der Reproduktion soziale Funktionen erfüllt. Insbesondere ist Sex ein Mittel zur Lösung von Spannungen und Konflikten.29 “ ‘Make love, not war’ könnte ein Bonobo-Slogan sein,” meint de Waal.30 Dabei sind auch homosexuelle Kontakte recht häufig, sowohl unter Frauen wie auch Männern.31 Für die Kinder, die in einem solchen Milieu aufwachsen, werden alle sexuellen Beziehungsvariationen zu einem natürlichen Verhaltensrepertoire zählen, was de Waal zur Bemerkung veranlasst:
Die meisten Tiere widmen sich schon in frühem Alter sexuellen Aktivitäten, und mich würde es nicht überraschen, wenn die vielen Probleme mit sexuellen Zwangsvorstellungen und Frustrationen in unseren eigenen Gesellschaften aus den Schuldgefühlen entstehen, die wir mit solchen Experimenten und Rollenspielen verbinden.32
Die Bonobos sind normalerweise fröhlich, ausgelassen und äusserst spielfreudig; sie haben das Grimassenschneiden zu einer wahren Kunst entwickelt.33 Aggressive Auseinandersetzungen werden zwar meist von dominanten Individuen initiiert, aber die nachfolgende Friedensschliessung geht auch von ihnen aus, im Gegensatz zu den Schimpansen, bei denen erwartet wird, dass das ranguntere Individuum den ersten Schritt tut. Es entsteht, wie de Waal betont, der Eindruck, das soziale Leben werde von Mitleid regiert.34 Auch verhalten sich die Männer gegenüber den Frauen recht sanftmütig.35 Überhaupt scheinen die Bonobos sehr empfindsam zu sein. Über den Zoo Hellabrunn in München wird berichtet, dass während des Zweiten Weltkrieges die dortigen Bonobos, durch Bombenlärm in grosse Angst versetzt, starben, während die Schimpansen das Inferno unbeschadet überstanden.36
Insgesamt zeigen die Bonobos eine ganze Reihe von Verhaltensweisen, die sie als eine Schlüsselspezies für das Verständnis der menschlichen Evolution erscheinen lassen. Dazu gehören das geschilderte zeitlich unbeschränkte Sexleben mit seiner nicht nur biologischen, sondern auch sozialen Funktion, aber auch die Tatsache, dass Bonobos sich mit weniger Schwierigkeiten als andere Menschenaffen auf zwei Beinen fortbewegen können und dabei ihre Hände zum Transport von Früchten verwenden.37

Anmerkungen

27
Nach de Waal 1993, 179-181.
28
Nach de Waal 1993, 182, und Hess 1999b.
29
Siehe de Waal 1993, 183, 201, und Hess 1999c.
30
De Waal 1993, 183.
31
Vgl. de Waal 1993, 201, 203, und Hess 1999c.
32
De Waal 1993, 207.
33
Nach de Waal 1993, 196 bzw. 200.
34
Siehe de Waal 1993, 221.
35
Nach de Waal 1993, 213.
36
Nach de Waal 1993, 191.
37
Siehe de Waal 1993, 186.