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Soziales i.e.S.

Soziales

Vorbemerkung
1. Begriffliches
1.1 Was heisst Soziales i.e.S.?
1.2 Begriffsvokabular der Residenz- und Deszendenzregeln
2. Soziale Systeme bei Tier-Primaten
2.1 Paviane
2.2 Orang-Utans
2.3 Gorillas
2.4 Schimpansen
2.5 Bonobos
3. Überlegungen zur sozialen Evolution der Hominiden
3.1 Von der Jagd- über die Sammel- zur Nahrungsteilungshypothese
3.2 Die Hypothese des “Sex-Vertrags“ von Helen E. Fisher
3.3 Das “Stammbaum-Modell” von Robert Foley
4. Die soziale Organisation archaischer und matrizentrischer Gesellschaften
4.1 Die archaische Gesellschaft: Patrilokale/patrilineare Horden ...
4.2 ... oder egalitäre Gemeinschaften?
4.3 Beispiel einer archaischen Gesellschaft: Die !Kung San (Buschleute)
4.3.1 Leben in lokalen Gruppen
4.3.2 Verwandtschaftssysteme
4.3.3 Heirat und Sexualität
4.4 Merkmale matrizentrischer Gesellschaften
4.4.1 Begriffliches
4.4.2 Geschichtliches
4.4.3 Zur Sozialordnung
Göttner-Abendroth beschreibt die Merkmale einer typischen matrizentrischen Gesellschaft auf der ökonomischen, der sozialen, der politischen und der kulturellen (symbolisch-weltanschaulichen) Ebene. Hier befassen wir uns im wesentlichen nur mit der zweiten Ebene. Matrizentrische Gesellschaften beruhen auf grossen Sippenverbänden (Gentilgesellschaften, wie sie Morgan genannt hat). Die Menschen wohnen in grossen Clans zusammen, die ausschliesslich nach der mütterlichen Verwandtschaft gerechnet werden, sich also nach einer matrilinearen Struktur orientieren. Dies bedeutet auch, dass der Sippennamen wie auch soziale Titel und Würden über die Mutterlinie weitergegeben werden. Eine matrizentrische Sippe (Matriclan) besteht aus minimal drei Frauengenerationen: der Sippenmutter, ihren Töchtern, ihren Enkelinnen und den in der direkten Linie verwandten Männern: den Brüdern der Mutter, den Söhnen und Enkeln. Alle diese Clan-Angehörigen wohnen in der Regel in einem einzigen grossen Sippenhaus. Wenn die jungen Frauen und Männer das heiratsfähige Alter erreichen, wird zwischen zwei verschiedenen Sippen eine Wechsel-Gemeinschaftsheirat mit anschliessender Gemeinschaftsehe arrangiert. Mit anderen Worten, die jungen Männer im Sippenhaus A werden als Gruppe mit den jungen Frauen im Sippenhaus B verheiratet und umgekehrt. Diese Art von Heiratsregel führt zu einer allgemeinen Verschwägerung und stärkt die Bindungen zwischen Clans. Dabei verlassen die Frauen ihr Sippenhaus nicht, was Göttner-Abendroth veranlasst, von einer matrilokalen Organisation zu reden. Dies ist aber nicht korrekt, denn die Männer bleiben ihrerseits ebenfalls im mütterlichen Haushalt wohnen. Dort haben sie Rechte und Pflichten: Sie sind einerseits an den Entscheidungen mitbeteiligt und müssen andererseits an der Sicherstellung des Lebensunterhaltes mitarbeiten. Die Ehen haben die Form von “Besuchsehen”, d.h. die Männer kommen nächtlicherweile bei den Frauen auf Besuch und sind im Morgengrauen zurück in ihrem Geburtshaus. Nach dem Vorschlag von Fox sollte ein solches Arrangement deshalb besser als “natolokal” bezeichnet werden, denn alle leben am Ort ihrer Geburt. Eine weitere Konsequenz dieser Sozialordnung ist, dass ein Mann die von ihm gezeugten Kinder nie als seine eigenen ansieht, denn sie tragen ja nicht seinen Clan-Namen. Ein Konzept biologischer Vaterschaft, wenn eine solche denn überhaupt eruierbar wäre, spielt also keine Rolle. Dagegen gibt es eine Art von “sozialer Vaterschaft”: Ein Mann ist am engsten mit den Kindern seiner Schwester oder Schwestern verwandt, die den gleichen Clan-Namen haben. Werden irgendwelche Würden über Männer vererbt, dann geht die Linie vom Onkel mütterlicherseits zu einem Neffen.63
Nach Göttner-Abendroth 1997a, 16-17.
Das Verwandtschaftssystem erhält noch eine spezielle Bedeutung auf der weltanschaulichen Ebene und zwar im Zusammenhang mit einem Wiedergeburtsglauben. Jedes Sippenmitglied, das stirbt, kann damit rechnen, in absehbarer Zeit in der gleichen Sippe wiedergeboren zu werden. Ein Matriclan erneuert und verlängert sich auf diese Weise ständig und die Tatsache, dass die Frauen die Wiedergebärerinnen sind, ist mitverantwortlich für ihre zentrale gesellschaftliche Stellung und das Ansehen, das sie geniessen. Die Menschen dieser Zeit haben, so Göttner-Abendroth, diese Vorstellung aus der Betrachtung der sie umgebenden Natur entwickelt, aus dem Vergehen und Wiederkehren der Jahreszeiten und aus dem Kommen und Gehen der Gestirne am Himmel:
Im Kosmos wie im Leben nehmen matriarchale Menschen diesen Kreislauf von Leben, Tod und Wiedergeburt wahr. Genauso ist für sie die Menschenwelt, denn diese ist nicht von den Naturkreisläufen abgesondert, sondern eingebettet in dieselben Gesetze.64
Göttner-Abendroth 1997a, 18.
Noch ein Wort zur Stellung der Kinder. Diese werden nicht in einer abgeschlossenen, eigenen Sphäre gehalten, wie wir es in unserer spätbürgerlichen Gesellschaft mit dem “pädagogischen” Schulsystem gewohnt sind. Schon ab 5 Jahren können sie eigene Gruppen bilden und haben eigene Örtlichkeiten zur Verfügung, wo sie sich zu Spiel, Tanz und sonstigen Vergnügungen treffen können. Gleichzeitig sind sie aber auch von allem, was im Sippenhaus geschieht, nicht ausgeschlossen; es gibt keine Tabu-Bereiche. Die Erziehung hat einen direkten und sinnlichen Charakter: was die Erwachsenen tun, tun auch die Kinder. Damit läuft das Lernen geht nicht über Theorien und Worte, sondern über die Nachahmung, das eigene ausprobierende Tun.65
Vgl. Göttner-Abendroth 1997a, 22.
Bezogen auf unsere Unterscheidung von verschiedenen Bewusstseinsebenen in Kapitel 2 von “Bewusstsein”: Das praktische Bewusstsein spielt eine entscheidende Rolle.
4.5 Beispiel einer matrizentrischen Gesellschaft: Die Irokesen
4.5.1 Geschichtliches
4.5.2 Die matrilineare Grossfamilie
4.5.3 Der matrilineare Clan
5. Das Soziale in patriarchalen Gesellschaften
5.1 Der Vorgang der Patriarchalisierung
5.1.1 Hypothesen über die Ursachen
5.1.2 Der Vorgang der Patriarchalisierung in vorderasiatischen Gesellschaften
5.1.3 Beispiel einer neuzeitlichen Übergangsgesellschaft: Die Trobriand-Insulaner
5.2 Patriarchale Strukturen in der Antike: Das Beispiel Rom
5.2.1 Geschichtliches
5.2.2 Die patriarchale Familie
5.2.3 Höhepunkt der Sklaverei
Zitierte Literatur
Zusätzliche Literaturangaben (besonders zu Mittelalter und Neuzeit)