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Biologische Evolution

Biologische Evolution

1. Von der Präformations- zur modernen Evolutionstheorie
1.1 Zum Begriff der Evolution
1.2 Die Zeit vor Darwin
1.3 Darwin und seine Evolutionstheorie
1.4 Kontroversen nach Darwin
1.5 Die moderne Evolutionstheorie
2. Fragezeichen und Gegenstimmen
2.1 Nur Zufall und Notwendigkeit?
2.2 Gradualismus versus Punktualismus
2.3 Zwecklosigkeit versus Zweckhaftigkeit
2.4 Die Zwischenlösung als relationale Alternative
Materialistische Interpretationen passen in ein atomistisch-mechanistisches, vitalistische in ein holistisch-organismisches Weltbild (vgl. "Weltbilder" 1.4.). Beide entsprechen extremen Positionen an entgegengesetzten Enden eines Spektrums. In gewissem Sinne bedingt das eine das andere, es handelt sich um zwei zueinander komplementäre Aberglauben, wie Bateson und Bateson erläutern: "When we focus too narrowly upon the parts, we fail to see the necessary characteristics of the whole, and are then tempted to ascribe the phenomena which result from wholeness to some supernatural entity."70
Gregory Bateson und Mary Catherine Bateson 1987: 52.
Die Trennung von Materie und Geist hat zur Folge, dass die Hälfte, die man erklären kann, übertrieben materialistisch wird, die restliche Hälfte total übernatürlich. "The materialist superstition is the belief ... that quantity (a purely material notion) can determine pattern. On the other side, the antimaterialist claims the power of mind over matter. ... both are nonsense."71
Bateson und Bateson 1987: 59.
Koestler stimmt damit überein, wenn er sagt, es könne nicht darum gehen, sich für das eine oder das andere zu entscheiden, denn es handle sich um falsche Alternativen. Was dann? Es gibt die Möglichkeit einer Zwischenlösung, die dann, nach dem, was wir früher zu den Weltbildtypen72
Vgl. "Einführung in die Humanökologie", 4.4.
gesagt haben, fast logischerweise Charakteristika aufweisen muss, die einem relational-evolutionären Weltbild angemessen sind. Es gibt keine Einbahn-Kausalität von unten nach oben oder von oben nach unten. Materie und Geist bilden eine Einheit, sie sind wechselseitig miteinander verbunden. Die Evolution ist damit weder nur materiell, noch nur vitalistisch zu erklären, und es herrschen weder grundsätzliche Zwecklosigkeit noch ausschliessliche Zweckhaftigkeit (im Sinne von vorgegebenen Endzwecken). Damit kann bezüglich der Frage: Zufall oder Plan? eine Teilwahrheit auf beiden Seiten liegen, meinen Leakey und Lewin.73
Vgl. Leakey und Lewin 1995: 37.
Es gibt Zufallskräfte, die in der Erdgeschichte am Werk sind, aber andererseits hat sich in sehr offensichtlicher Weise auch das Leben vom Einfachen zum Komplexen entwickelt, und zwar sowohl hinsichtlich Anatomie als auch Verhalten, und das deutet doch darauf hin, dass dem Ganzen ein sinnvoller Trend zugrundezuliegen scheint.
Konkreter können wir uns eine relationale Interpretation so vorstellen, dass Organismen im Austausch mit der Umwelt über die Fähigkeit verfügen, mit Bezug auf die momentan gegebenen äusseren Bedingungen relativ kurzfristige Entwicklungsziele anzusteuern. Koestler macht dazu den Vergleich mit dem Schachspieler, der die Endstellung nie voraussehen kann, sondern seine Fähigkeiten einsetzen muss, um sich bietende Gelegenheiten zu seinem Vorteil zu nutzen.74
Siehe Koestler 1981: 152.
It means ... that the evolution of life is a game played according to fixed rules which limit its possibilities but leave sufficient scope for a limitless number of variations. The rules are inherent in the basic structure of living matter; the variations derive from adaptive strategies. ... It [evolution] could be compared to a musical composition whose possibilities are limited by the rules of harmony and the structure of the diatonic scales - which, however, permit an inexhaustible number of original creations.75
Koestler 1981: 148.
Das Beispiel des Schachspielers würde darauf hindeuten, dass der Zufall nun keinen Platz mehr hat, weil dieser ja den Entscheid über seine Züge nicht einem Zufallsprinzip überlässt. Vielleicht aber ist das Schachspiel das falsche Beispiel, vielleicht wäre ein Würfelspiel die passende Metapher. Dies würde den Auffassungen von Manfred Eigen und Ruthild Winkler entsprechen, die die evolutionären Vorgänge als ein Spiel sehen, bei dem der Zufall die grundlegende Variationsquelle ist, aber im Laufe der Zeit wegen des stufenweisen Aufbaus von immer komplexeren Strukturen einen immer engeren Rahmen bekommt, in dem er noch spielen kann.76
Manfred Eigen und Ruthild Winkler 1975.
Also doch ein Zusammenwirken von Zufall und Notwendigkeit? Wenn ja, dann jedenfalls nicht im Sinne des ursprünglichen Verständnisses, das eine ungehinderten Einfluss einer Veränderung im Genotyp auf Anatomie und/oder Verhalten eines Lebewesens sieht, so dass das Resultat dann direkt der Beurteilung der selektiv wirksamen Umweltfaktoren unterworfen wird, sondern im Sinn eben eines stufenweisen Vorganges, bei dem schon den Spielregeln auf verschiedenen internen Ebenen eine einschränkende Rolle zukommt. Koestler selbst will den Zufall nicht grundsätzlich ausschliessen, aber insgesamt sieht er die kreative Initiative der Lebewesen, die sich nicht passiv, sondern zielgerichtet aktiv verhalten, als Hauptfaktor der Evolution - und nicht den Selektionsdruck der Umwelt.77
Vgl. Koestler 1981: 197-198.
Sie produzieren damit neue Varianten ihrer Lebensweise, und die Frage ist, ob, wenn z.B. die Mitglieder einer bestimmten Population eine neue Verhaltensweise angenommen haben und diese via Imitation an die Nachkommen übergeht, darauf gewartet werden muss, dass irgendwann der Zufall die richtige Mutation produziert, die dann die fragliche Verhaltensweise genetisch verankert, oder ob es hier eine direktere, zielgerichtete Rückkopplung gibt. Wir wären damit wieder bei der Frage der Möglichkeit einer Vererbung lamarckistischer Art, die wir doch eigentlich schon endgültig abgeschrieben wähnten. Es scheint, dass Waddington Experimente durchgeführt hat, die eine solche Möglichkeit offen lassen, wobei allerdings auch nicht entschieden werden kann, ob nicht vielleicht auch ein in Wirklichkeit darwinistischer Prozess eine lamarckistische Imitation zustandebringt.78
Siehe Koestler 1981: 155-156.
Wenn aber ein echt lamarckistisches Element an solchen Vorgängen beteiligt ist, dann sicher nicht im ursprünglichen Sinne von Lamarck, nämlich so, dass ontogenetisch entstandene Merkmale an die nächste Generation gleich weitergegeben werden, sondern allenfalls so, dass der fragliche Organismus ein genetisches Mutationsverhalten zeigt, das nicht rein zufällig ist, sondern in sinnvoller Weise auf die Umweltbedingungen Bezug nimmt. Hier ist ein Ergebnis interessant, das von den amerikanischen Mikrobiologen John Cairns, Julie Overbaugh und Stephen Miller berichtet worden ist. Sie haben in Laborversuchen festgestellt, dass ein gewisses Bakterium in giftiger Umwelt signifikant rascher, als es beim Herrschen reinen Zufalls zu erwarten gewesen wäre, zu einer Immunität mutierte.79
Zeitungsmeldung mit Bezug auf einen Artikel in Nature Bd.335, 1988: 142.
Das letzte Wort dürfte hier noch lange nicht gesprochen sein.
Die Diskussion zeigt, dass wir natürlich auch mit der Wahl eines relationalen Gesichtspunktes nun nicht plötzlich Gewissheit haben, sondern, dass wir uns, indem wir verschiedene, voneinander abweichende Ansätzen vertreten, immer noch bestens streiten können. Aber diese Ansätze können einander nicht mehr diametral gegenüberstehen; es handelt sich mehr um Varianten des gleichen zugrundeliegenden Themas. Dies wollen wir im nächsten Abschnitt noch mit einigen Beispielen zeigen.
2.5 Beispiele von relationalen Ansätzen
2.5.1 Die Systemtheorie der Evolution von Rupert Riedl80
Siehe dazu die ausführliche Darstellung bei Rupert Riedl 1975 und die knappen Zusammenfassungen in Riedl 1985: 177 ff. und Wuketits 1981: 95 ff.
2.5.2 Die Autopoietische Systemtheorie von Humberto Maturana und Francisco Varela84
Wichtige Komponenten einer autopoietischen Systemtheorie finden sich in Francisco J. Varela 1979. Die beste Darstellung dieser Theorie im Zusammenhang mit Fragen der Evolution findet sich aber wohl in Humberto R. Maturana und Francisco J. Varela 1987. Für einen allgemeinen Überblick siehe auch Dieter Steiner 1989.
2.5.3 Die "Ökologie des Geistes" von Gregory Bateson (1904-1980)93
Siehe dazu Bateson 1972 und Bateson und Bateson 1987. Das letztere Buch, "Angels Fear", wurde nach dem Tod von Gregory Bateson von seiner Tochter Mary Catherine fertiggestellt.
2.5.4 Die Theorie der "morphischen Felder" von Rupert Sheldrake104
Siehe Rupert Sheldrake 1985 und 1990.
3. Zur Entstehung des Lebens
3.1 Verschiedene Ursprungshypothesen
3.2 Die Bausteine des Lebens und ihre Entstehung
3.2.1 Was ist Leben?
3.2.2 Die materialistische Standardhypothese
3.2.3 Gibt es einen oder zwei Ursprünge des Lebens?
3.3 Genügt eine materialistische Erklärung?
4. Zum Verlauf der biologischen Evolution
4.1 Der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre als Faktor der Evolution
4.2 Die Gaia-Hypothese
4.3 Explosionen und Auslöschungen
4.4 Das Muster der evolutionären Hierarchie182
Das ist ein leicht veränderter Teil aus einem Papier, das ich aus Anlass der Tagung "Humanökologie der Zukunft", Wislikofen, 6.-10.Juli 1998, schrieb (Steiner 1998).
Zitierte Literatur