Heute versteht man unter "Evolution" normalerweise "die stammesgeschichtliche Entwicklung (Phylogenie) der Lebewesen von einfachen, urtümlichen zu hochentwickelten
Formen."1Redaktion Naturwissenschaft und Medizin des Bibliographischen Instituts 1983: Bd.1, 203.
In ausführlicherer Beschreibung bedeutet dies:
Es handelt sich also um einen im weitesten Sinne historischen Vorgang, der nicht direkt beobachtet werden kann und dessen Verlauf auch nicht experimentell analysierbar ist. Alles was über die Evolution ausgesagt wird, ist somit hypothetische
Rekonstruktion.3Vgl. Siewing 1982: 95.
Der Begriff hatte durchaus nicht von Anfang an die Bedeutung der Entwicklung der Arten. Die grossen Evolutionisten des 19. Jh., Darwin, Lamarck und Haeckel, verwendeten dieses Wort auch gar nicht. Sie sprachen von "descent with modification" (Darwin), "transformisme" (Lamarck) und "Transmutation" ( Haeckel). Der Grund: Zu jener Zeit bezog sich der Begriff auf den Vorgang der Embryonalentwicklung von Individuen; der Schweizer Naturforscher Albrecht von Haller hatte ihn 1744
geprägt,4Vgl. Siewing 1982: 95.
und zwar im Sinne der sog. Präformationstheorie (siehe 1.2). Diese Theorie wurde aber zunehmend abgelehnt und so wurde der Weg frei, dem Begriff eine neue wissenschaftliche Bedeutung zu verleihen. Die Anwendung auf die Theorie von Darwin deckte sich dabei mit einem schon älteren Gebrauch des Wortes in der englischen Alltagssprache für Prozesse, die sich progressiv von Einfacherem zu Komplexerem
entfalten.5Vgl. Stephen Jay Gould 1992: 34-35.
Normalerweise ist es auch so, dass sich der Begriff ohne eine weitere Präzisierung auf den Vorgang der biologischen, und nur der biologischen Evolution bezieht. Mit entsprechenden Adjektiven gekennzeichnet, wird aber heute das Wort auch für die Entwicklungsvorgänge vor der Entstehung des Lebens einerseits und nach der Entstehung des Menschen andererseits verwendet. Es wird dann von "kosmischer Evolution" und von "chemischer Evolution" bzw. von "kultureller Evolution"
geredet.6Siehe z.B. die Beiträge "Evolution des Kosmos" von Hanns Ruder, "Chemische Evolution" von Gerhard Hesse und "Evolution der Kulturen" von Gisela Freund in Siewing 1982: 1 ff., 49 ff. und 413 ff.