Druckversion  ·  Kontakt

Einführung in die Humanökologie

Einführung

1. Begriffliches
1.1 Zur Ökologie
1.2 Zur Humanökologie
2. Die “alte” Humanökologie: Intradisziplinäre Ansätze
2.1 Biologie
Natürlich kann es hier nicht darum gehen, einen geschichtlichen Abriss der Entwicklung der biologischen Ökologie im allgemeinen zu geben - wer sich dafür interessiert, sei auf die “Geschichte der Ökologie” von Ludwig Trepl und auf “Die Natur der Ökologie” von Antonio Valsangiacomo verwiesen.10
Ludwig Trepl 1994 und Antonio Valsangiacomo 1998.
Für den wissenschaftstheoretischen Hintergrund der Biologie ist die in beiden Büchern erwähnte Gegenüberstellung von Naturgeschichte und Naturwissenschaft i.e.S. von Bedeutung. Tabelle 1 zeigt, wie die beiden Seiten von Valsangiacomo charakterisiert werden. Historisch gesehen hat das idiographisch angelegte naturgeschichtliche Verständnis in früheren Zeiten eine Hauptrolle gespielt, während der nomothetische naturwissenschaftliche Zugang in neuerer Zeit seinen Siegeszug angetreten hat. Typisch für ihn ist z.B. das heutige Interesse für Gentechnologie. Welche Gefahren damit verbunden sein können, mag uns klar werden, wenn wir bedenken, dass die Leitwissenschaft der Naturwissenschaften die Physik ist, die das Nicht-Lebendige untersucht. Bei der Gentechnologie aber haben wir es mit Lebewesen zu tun ...
Tabelle 1: Charakterisierung der zwei Pole des wissenschaftlichen Zugangs zur Natur (nach Valsangiacomo 1998: 15)
 
Naturgeschichte
Naturwissenschaft i.e.S.
Gegenstandsbereich
Konkrete, gewordene
Naturdinge
Abstrakte, universelle
Naturgesetzmässigkeiten
Fragetyp
Was gibt es? Was gab es?
Wie lässt es sich klassifizieren?
Wie kam es dazu?
Welche Relationen bestehen?
Wie funktioniert es?
Erklärungstyp
Historisch-evolutionär
Historisch-genetisch
Entwicklungsgeschichtlich
Mittelbar-kausal
Notwendige Bedingungen
Funktional
Zeitunabhängig
Universell, ahistorisch
Unmittelbar-kausal
Hinreichende Bedingungen
Methode
Vergleichend-beobachtend
Nur gedanklich reduzierend
Qualitativ
Gedankliche Rekonstruktion
Manipulativ-beobachtend
Auch praktisch reduzierend
Experimentell
Quantitativ-exakt
Herstellende Konstruktion
Prognose
Qualitativ-phänomenal
Quantitativ-zeitlich
Umsetzung
Retrospektiv-erklärend
Deutungsorientiert
Prospektiv-beherrschend
Anwendungsorientiert
Wir beschränken uns auf zwei Dinge, die für uns relevant sind: Einerseits gibt es gewisse Entwicklungen in der Ökologie, die auch für die heutige Humanökologie von Interesse sind, und andererseits liegen verschiedene Ansätze für eine biologisch verstandene Humanökologie vor. Wenden wir uns zuerst den Entwicklungen in der Ökologie zu.
Wir haben erwähnt, wie Haeckel unter dem Eindruck der Evolutionslehre Darwins eine erste Vorstellung von Ökologie entwickelte. Dabei war die Leitvorstellung die, ein Umweltzustand sei vorgegeben und ein Organismus würde auf hauptsächlich passive Art auf Variablen dieser Umwelt reagieren, so dass daraus in relativ gesetzmässiger Weise materielle, d.h. physikalische, chemische oder physiologische Beziehungen resultierten. Es war dann Jakob von Uexküll, der in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts eine alternative Vorstellung entwickelte: Ein Organismus ist ein durchaus aktives Wesen, das sich nicht einfach an seine Umwelt anpasst, sondern diese auch seinen Bedürfnissen entsprechend verändert.11
Siehe Jakob von Uexküll 1973 (erstmals 1928 publiziert).
Diese Auffassung ist heute wohl weitverbreitet - so z.B. auch bei Lee Freese, der sagt: “By the mere process of living, organisms change the very conditions upon which they depend for subsistence”12
Lee Freese 1988: 71.
-, hat aber immer noch gegen die neodarwinistisch inspirierte Biologie anzutreten, die der natürlichen Selektion im Prozess der Evolution ein zu grosses Gewicht beimisst.13
Den beiden genannten unterschiedlichen Auffassungen über die ökologische Rolle der Umwelt entsprechend stellt Helmut Knötig 1972 eine "Haeckelsche Umwelt" einer "Uexküllschen Umwelt" gegenüber.
Die genannte Wechselwirkung ist möglich, weil die Organismen, mindestens die Tiere, eine Innenwelt haben mit der Fähigkeit, Merkmale der Umwelt als für sie bedeutungsvoll zu erkennen und daraufhin dazu passend in ihr wirksam zu werden - Uexküll macht also einen wichtigen Schritt über eine Ökologie als Beziehungslehre hinaus und etabliert sie als Bedeutungslehre.14
Zur Gegenüberstellung der Ökologie als Beziehungslehre einerseits und Bedeutungslehre andererseits siehe die ausführliche Darstellung bei Parto Teherani-Krönner 1992: 27 ff. Hartmut Wehrt und Thure von Uexküll (ein Sohn Jakobs) 1996 betonen, dass damit die Bedeutung nicht etwas ist, das erst in der menschlichen Kultkurgeschichte auftritt, sondern schon als nicht quantifizierbarer Naturfaktor eine Rolle spielt.
Sein grundlegendes Schema ist das des Funktionskreises, der die Umwelt als “Merkwelt” über das “Merkorgan” (Wahrnehmungsorgane) und das “Wirkorgan” (Erfolgsorgane) des betreffenden Tieres zurück zur Umwelt als “Wirkwelt” verbindet (siehe Abbildung 1). Die Folgerung: “Das Lebewesen selber ist mit seinem Organismus und seiner Umwelt eine unteilbare Ganzheit.”15
Wehrt und Uexküll 1996: 237.
Ein Tier reagiert also nicht einfach roboterhaft-mechanisch auf Umwelteinflüsse, sondern es hat bereits einen Subjektstatus, der somit nicht dem Menschen vorbehalten ist. Was sich hier schon vorgezeichnet vorfindet, äussert sich dann später beim Menschen lediglich in übersteigerter Form.
Abbildung 1: Der Funktionskreis von Jakob von Uexküll als Modell der Subjekt-Objekt-Beziehung im Tierreich (nach Wehrt und Uexküll 1996: 235)
Abbildung 1: Der Funktionskreis von Jakob von Uexküll als Modell der Subjekt-Objekt-Beziehung im Tierreich (nach Wehrt und Uexküll 1996: 235)
Trotz dem frühen Anfang bei Haeckel entwickelte sich übrigens, wie Wolfgang Haber betont, die Ökologie über längere Zeit nur sehr zaghaft. Zunächst konzentrierte sich die Biologie auf das Niveau des Organismus und von da aus “abwärts” zu seinen Teilen. Erst seit etwa 1930 wurde auch der Weg “aufwärts” zur überindividuellen Ebene intensiver und planmässiger beschritten.16
Nach Teherani-Krönner 1992: 27, mit Bezug auf Wolfgang Haber.
Eine wesentliche Rolle dürfte dabei 1935 die Einführung der Idee des “Ökosystems” durch A.C. Tansley gespielt haben. Er wandte sich damit explizit gegen die Entwicklung holistischer Vorstellungen, die räumlich definierte, zusammenhängende Ausschnitte aus der Realität der Erdoberfläche, kurz: Landschaften - wir kennen dieses Gedankengut ja auch aus der traditionellen Geographie - als ganzheitliche Studienobjekte der Ökologie reklamierten. Stellvertretend mag dafür etwa die Vorstellung eines “Holocoen” von K. Friederichs gelten:
... ein Beziehungsgefüge, das das Ganze einer Landschaft, Lebensraum und Lebensgemeinschaft, zur Einheit, zum Holocoen verbindet, ein kleines Universum daraus macht. Das Holocoen wird ... durch ein äusserst verwickeltes Gewebe von Bezeichnungen zusammengehalten und in seinem Sosein erhalten; alles darin steht zu allem in Beziehung, alles wirkt auf alles direkt ein ...17
K. Friederichs 1937: 19, zitiert nach Trepl 1994: 184.
Mit dem Postulat eines solchen Allzusammenhanges ist aber strikte genommen ein analysierende Schritte voraussetzender wissenschaftlicher Zugang zu einem solchen Gefüge unmöglich. Tansley wollte deshalb einen handhabbaren Ansatz entwickeln: Er forderte einen gewissen Grad der Abstraktion, also weg von der Vorstellung der Beschäftigung mit einem Realobjekt zu der eines Umgangs mit gedanklichen Isolaten. Damit leitete er allerdings die Entwicklung des ungefähren extremen Gegensatzes zum Holismus ein: Der physikalistisch verstandenen Ökosystem-Forschung. In der Folge wurde nämlich die Forderung aufgestellt, die genannten Isolate müssten mit den Mitteln der Physik behandelbar sein.18
Vgl. Trepl 1994: 184 ff.
Einen Höhepunkt erfuhr diese Richtung dann 1953 mit dem Werk “Fundamentals of Ecology” von Eugene P. Odum, der darin versuchte, sowohl die abiotischen wie auch die biotischen Komponenten eines Ökosystems mittels dem gemeinsamen Nenner von Energieflüssen integrativ miteinander zu verbinden.19
Eugene Odum 1953; siehe dazu Trepl 1994: 190 ff.
Zweifellos sind mit derartigen Modellen wichtige Erfolge im Verständnis ökosystemarer Zusammenhänge erzielt worden. Gleichzeitig aber scheint in der Kontroverse zwischen Holismus und Physikalismus auch das grundlegende Dilemma auf, in dem wir uns unweigerlich befinden: Die Vorstellung, dass in Wirklichkeit alles mit allem zusammenhänge, ist schätzungsweise gar nicht so falsch. Damit aber haben wir die Wahl zwischen einem wissenschaftlichen, notgedrungen mehr oder weniger reduktionistischen Ansatz, der der Realität nur teilweise gerecht werden kann und, wenn Ergebnisse instrumentell umgesetzt werden sollen, auch zerstörerische Auswirkungen haben kann, und irgendeiner Art eines nicht-wissenschaftlichen Zugangs, die aber kein verwertbares Instrumentalwissen erzeugen kann. Damit aber ist auch schon die Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit menschlichen Eingreifens angesprochen, und wir könnten sagen, dass wir es hier mit einem fundamentalen Problem der Hu¬manökologie zu tun haben.
Kommen wir nun aber zu den expliziten Versuchen einer biologisch oder biophysisch fundierten Humanökologie. Beispiele sind die Bücher “Humanökologie” von Paul R. Ehrlich, Anne H. Ehrlich und John P. Holdren und “Einführung in die Humanökologie für Mediziner und Biologen” von Hans-A. Freye.20
Paul R. Ehrlich, Anne H. Ehrlich und John P. Holdren 1975; Hans-A. Freye 1986.
Sie befassen sich mit Themen wie Bevölkerungsdynamik, Tragfähigkeit des Lebensraumes, Nahrungs- und Energieproduktion und -konsum, Ernährungsprobleme, Umweltverschmutzung und ihr Einfluss auf das Funktionieren von Ökosystemen, gesundheitliche Risiken unter natürlichen Bedingungen (z.B. Parasiten) wie auch als Folge anthropogener Umweltgifte etc. Es geht hier also um Individuen und Populationen als Aggregate von Individuen und ihre Beziehung zur Umwelt hinsichtlich biophysischer Variablen. Der Umstand, dass Qualität und Quantität dieser Beziehung stark von der Frage abhängt, von welcher Form von Gesellschaft und von welcher Art von Kultur eine menschliche Population Trägerin ist, wird angesprochen, aber doch eher als Hintergrund behandelt und nicht wesentlich vertieft. Während die biophysischen Aspekte natürlich wichtig sind, ist es in unserem Verständnis - ganz im Sinne des Verursacherprinzips! - gerade dieser Hintergrund, der intensiv ausgeleuchtet werden muss. An der ETH Zürich gab es übrigens anfangs der 80er Jahre einmal eine Lehrveranstaltung, die “Humanökologie” hiess, deren thematischer Inhalt sich aber auf die Probleme von Luftverschmutzung und Lärm beschränkte. Den betreffenden Dozenten wurde dann aber offenbar klar, dass der Titel zu weit gefasst war, denn später wurde der Kurs passender “Umwelthygiene” genannt.
Mit ähnlichen Themen wie in den zwei genannten Büchern (Bevölkerungs-, Ernährungs- und Gesundheitsprobleme, menschliche Beeinflussung der Umwelt und Ressourcenbeanspruchung) befasst sich Stephen Boyden in seinem Buch “Western Civilization in Biological Perspective”, wobei er dies aber unter einer evolutionären Perspektive tut, d.h. er betrachtet die Entwicklung von den archaischen Gesellschaften zu unserer modernen Gesellschaft, was im Untertitel “Patterns in Biohistory” zum Ausdruck kommt.21
Stephen Boyden 1987.
Dabei vertritt er eine “total environment orientation”, worunter er die gleichzeitige Betrachtung von Biosphäre und menschlicher Gesellschaft und der Wechselwirkungen zwischen ihnen versteht.22
Boyden 1987: 323 ff.
Besonderes Augenmerk richtet er auf den Aspekt des Stoffwechsels. Dieser stellt beim Menschen insofern einen Sonderfall dar, als er sich nicht einfach wie bei Tiergesellschaften aus der Aggregation individueller Biometabolismen ergibt, also der Austauschvorgänge, die unmittelbar für die Aufrechterhaltung des Lebensprozesses der einzelnen Lebewesen erforderlich sind, sondern zusätzlich und vor allem durch die wachsende Grösse eines extrasomatischen Metabolismus, wofür Boyden den Begriff “Technometabolismus” geprägt hat.23
Boyden 1987: 5. Siehe auch Boyden 1993: 34-38.
Dieser dient zur Reproduktion eines bestimmten Niveaus materieller Kultur mit zugehörigen Prozessen (z.B. Mobilitäts-Infrastruktur mit Fahrzeugen und Transportwegen). Zweifellos ist ein Ansatz, der mit Stoff- und Energieflüssen operiert, in der heutigen Situation unabdinglich, da wir ja eine Vorstellung davon haben sollten, in welcher Grössenordnung wir unsere Umwelt durch Ressourcenverbrauch, Abfallproduktion und Landschaftsveränderung belasten und um wieviel wir diese Belastung im Sinne von Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit reduzieren sollten.
2.2 Geographie
2.3 Ethnologie (Kulturanthropologie)
2.4 Soziologie
2.5 Psychologie
3. Zur ökologischen Krise
3.1 Gibt es überhaupt eine Krise?
3.2 Zur politischen Debatte
3.3 Zur wissenschaftlichen Debatte
4. Wie weiter?
4.1 Die technologische Perspektive
4.2 Die humanökologische Perspektive
4.3 Nicht das eine oder das andere, sondern das eine im anderen
4.4 Weltbildtypen
5. Die “neue” Humanökologie: Eine übergeordnete Perspektive
5.1 Zur organisatorischen Entwicklung
5.2 Der transdisziplinäre Aspekt
5.3 Der transwissenschaftliche Aspekt
5.4 Der evolutionäre Aspekt
5.5 Der transpersonale Aspekt
Zitierte Literatur