So viel zum normenfreien Teil des Wirtschaftssystems, der sich als mit systemischen Gesetzmässigkeiten beschreibbar erweist. Wie steht es nun mit der Integration von kulturell-politisch inspirierten normativen Vorgaben? In jeder der zyklischen Kausalketten gibt es mehrere Ansatzpunkte, an denen Struktur und Dynamik des Systems beeinflusst werden können. Z.B. muss eine Produktivitätssteigerung nicht unbedingt einen expansiven Impuls auslösen, denn es kommt darauf an, wie sie weitergegeben wird. Dies kann auf verschiedene Weise geschehen, über Lohnerhöhungen, Preissenkungen oder einer Verringerung der Arbeitszeit. Die ersten beiden Optionen würden eine Expansion unterstützen, die letzte aber nicht, da der Effekt von der Pufferung aufgefangen
würde.334Siehe Schütz 1990, 153, 1651.
Es ist auch denkbar, dass die für die Standardökonomie heilige Kuh der dem Markt zu überlassenden Preisbildung geschlachtet wird. Warum? Der Markt hat weniger eine Fähigkeit, Preise in einem absoluten Sinn zu bestimmen als auf Preisänderungen zu reagieren. Insbesondere aber stellt er auch keinen ausgleichenden Mechanismus dar:
Letztlich am wichtigsten in Schütz’ Konzeption einer kulturellen Ökonomie ist aber vermutlich sein Plädoyer für ein gesellschaftlich legitimiertes Prinzip der Kooperation. In der Standardökonomie wird der Blick auf die Möglichkeit von Kooperation durch die ausschliessliche Fixierung auf das Prinzip der Konkurrenz verstellt, wodurch das wirtschaftliche Geschehen zu einem Nullsummen-Spiel degradiert wird: Zu jemandem, der gewinnt, gehört immer auch jemand, der verliert. Im Gegensatz dazu sind über kooperative Ansätze vielfältige Synergieeffekte denkbar, die vielen oder allen zugute kommen könnten. In der herkömmlichen Ökonomie aber ist der unbedingte Eigennutz die alleinige Leitgrösse, was soweit geht, dass davon abweichendes Verhalten als irrational erscheinen
muss.337Siehe Schütz 1990, 184-186.
Allerdings gilt dies nur für echt altruistisches, also selbstloses Verhalten, so weit solches überhaupt vorkommt, denn es gibt Formen von Altruismus und Solidarität, die die Ökonomie glaubt, als im Grunde genommen egoistisch entlarven zu
können.338Diese Überzeugung kann gelegentlich seltsame Blüten treiben. Der amerikanische kommunitaristisch orientierte Politologe Amitai Etzioni erwähnt einen Fall, in dem ein dogmatisch denkender Ökonom zutiefst beunruhigt war über die Tatsache, dass es Menschen gibt, die kirchlichen Organisationen Geld spenden, da sie ja während ihrer Lebenszeit dadurch keinen ersichtlichen Vorteil haben. Wie zog er sich schliesslich aus der Affäre? Er postulierte, dass sich die betreffenden Leute damit ihrem Glauben gemäss die Möglichkeit einer afterlife consumption, eines Konsums im Jenseits also, sichern (!) (Etzioni 1988, 26).
Dies tut sie ganz in Anlehnung an entsprechende biologische Vorstellungen in der Verhaltensökologie, die postuliert, dass Hilfe gegenüber Verwandten eigentlich eine eigennützige Hilfe gegenüber den eigenen Genen hinsichtlich ihres Fortlebens ist - diese kommen ja je nach Grad der Verwandtschaft auch zu einem grösseren oder kleineren Teil in eben diesen Verwandten
vor.339Siehe dazu z.B. “Evolution des Altruismus” in John R. Krebs und N.B. Davies 1984, 22 ff.
In ähnlicher Weise kann die Ökonomie behaupten, solidarisches Verhalten erscheine nur als ein solches, in Wirklichkeit werde damit z.B. lediglich ein kurzfristiger gegen einen längerfristigen Vorteil
eingetauscht.340Es kann deshalb nicht erstaunen, dass Vertreter und Vertreterinnen von Soziobiologie einerseits und utilitaristischer Ökonomie andererseits eine gegenseitige Seelenverwandtschaft entdecken und ein verstärkte Zusammenarbeit fordern. Ein Beispiel ist ein Artikel von Matt Ridley und Bobby S. Low, in dem sie den von Natur aus gegebenen menschlichen Egoismus im Hinblick auf die Umweltproblematik zur nützlichen erneuerbaren Ressource erklären: “Conventional wisdom has it that the way to avert global ecological disaster is to persuade people to change their selfish habits for the common good. A more sensible approach would be to tap a boundless and renewable resource: the human propensity for thinking mainly of short-term self-interest” (Ridley und Low 1994, 1). Für einen ausführlicheren Kommentar zu dieser Thematik siehe Steiner 1994.
Ein häufig genannter illustrativer Fall ist das Einhalten eines Gesellschaftskontraktes, das bereits als “kooperatives” Verhalten betrachtet wird. Dabei geht es aber nur darum, seine persönlichen Rechte zu reklamieren und die Existenz von Pflichten gegenüber der Gemeinschaft zu leugnen. “Gesucht ist das Quantum an ‘Solidarität’, das nötig ist, um das Eigeninteresse aller reibungslos zu sichern,” so wird dies von Schütz
kommentiert.341Schütz 1990, 190.
Bei der Vorstellung einer kulturellen Ökonomie sind wir natürlich auf der Suche nach einer anderen Art von Solidarität, eine, die nicht bloss eine gehobene Form von Egoismus darstellt, sondern auf Verantwortung gegenüber den Mitmenschen und dem Ganzen der Gemeinschaft gründet. Echte Kooperation führt zu positiven externen (damit also nicht monetär abgegoltenen) Effekten, die allen zugute kommen können. Dies schliesst eigennütziges Verhalten nicht aus, aber weist ihm einen Platz in einem weiter gefassten, ganzheitlichen Rahmen zu. Es geht also nicht darum, Solidarität und Mitgefühl gegen Selbstinteresse und Konkurrenz auszuspielen, sondern sinnvoll zueinander in Beziehung zu
setzen.342Nach Schütz 1990, 190-191, 194, 206-207.