Ökonomismus: Zwischen wirtschaftlichem Handeln und ethischen Ansprüchen gibt es keinen Konflikt, weil die “unsichtbare Hand” des Marktes garantiert, dass viele ökonomische Handlungen in ihrem Zusammenwirken zu einem ethisch richtigen Resultat führen. Der durch die Marktkräfte entstehende Systemzusammenhang wird also geradezu als eine un- oder überpersönliche Macht gesehen (vgl. dazu die Bemerkungen von Binswanger zur Wurzel dieser Auffassung in der stoischen Philosophie in 6.1); deshalb ist es durchaus angebracht, hier von “Systemethik” zu reden. Das heisst allerdings nicht, dass ein Marktteilnehmer sich verhalten kann, wie er will, sondern er muss sich, um seine eigene Wettbewerbsfähigkeit dauerhaft verbessern oder mindestens konservieren zu können, den Zwängen des Marktes unterwerfen, und er tut dies, indem er seine eigenen Interessen und Selbstbehauptungschancen in strategischer Manier an den Interessen und Selbstbehauptungschancen aller anderen ausrichtet, und zwar langfristig kalkulierend. Natürlich ist dies angesichts der Anonymität des Marktgeschehens in einem konkreten Sinne unmöglich, aber hier ist nun das Schöne an diesem Geschehen, dass es automatisch für eine wechselseitige Kontrolle sorgt, solange die Teilnehmenden in ihrem Handeln der Marktlogik
folgen.306Dazu Lothar Mayer (1992, 44): “Das ist der diskrete Charme der Marktwirtschaft. Sie hält alles von uns fern, was das schöne Gefühl, dass man ein guter und anständiger Mensch ist, trüben könnte.”
Konkret bedeutet dies etwa für einen Unternehmer - ganz im Sinne des Weberschen Kapitalismus-Geistes (vgl. 2.4.6) -, persönliche Konsuminteressen zurückzunehmen, mittels asketischem Sparen die Bildung von Kapital zu fördern und dieses wieder in die Unternehmung zu
investieren.307Nach Thielemann 1994, 51-53.
Aus dieser Sicht wird der Ausspruch des amerikanischen Ökonomen Milton Friedman: “The social responsibility of business is to increase its profits”
verständlich.308Milton Friedman 1970.
Zweifellos ist diese Art von Gesinnung angesichts der ökologischen Krise wenig hilfreich. Im Bewusstsein dieser Krise hat sich aber eine modifizierte Form des Ökonomismus herausgebildet, die behauptet, dass das Bestreben nach langfristiger Marktbehauptung und die Ausrichtung an ökologischen Kriterien zusammenfallen, z.B. weil ressourcenschonendes Wirtschaften effizienter ist, oder weil Angehörige eines zunehmend ökologisch sensibilisierten Publikums als Konsumenten und Konsumentinnen sonst abspringen. Ein Beispiel für diese Art von Denken ist der vom Unternehmer Stephan Schmidheiny propagierte
“Kurswechsel”,309Siehe Stephan Schmidheiny 1992.
der im wesentlichen einfach in einer Vertiefung und Intensivierung der unternehmerischen Erfolgs- und Wettbewerbsorientierung besteht. “Der Fortschritt in Richtung nachhaltige Entwicklung ist im wohlverstandenen Geschäftsinteresse begründet, da er Wettbewerbsvorteile und neue Chancen schaffen
kann.”310Schmidheiny 1992, 14.
Dabei wird übersehen, dass damit eine Garantie für eine dauerhaft ökologisch verträgliche Ausrichtung nicht gegeben ist, weil z.B. eine ressourcensparende Effizienzsteigerung durch einen Mengenzuwachs der Produktion längst wieder kompensiert oder überkompensiert werden
kann.311Vgl. Thielemann 1994, 53-55.